Ausstellung "Seismographic Sounds"

Eine Überdosis Medien als Vision der Zukunft

Das Künstlerhaus Bethanien in Berlin-Kreuzberg
Die Ausstellung "Seismographic Sounds" im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien ist Teil des CTM-Festivals in Berlin. © dpa / picture alliance / Stephanie Pilick
Von Florian Fricke · 29.01.2016
Flimmernde Monitore, Musikclips in Dauerschleife: In der Ausstellung "Seismographic Sounds" im Berliner Kunstraum herrscht mediales Dauerfeuer. Die Kuratoren wollen neue Hybrid-Kulturen abbilden, die entstehen, wenn geografische, mediale und kulturelle Grenzen weltweit durchlässiger werden.
"Also die Ausstellung heißt 'Seismographic Sounds - Visions of a New World', und dieser Titel ist zustande gekommen, weil wir daran glauben, dass Sound und Musik ein Seismograph sein kann für unsere Zeit und dass Sound die Zukunft weisen kann, und die Vision einer neuen Welt ist das, was wir aufspüren in den Tracks und Videoclips, die jetzt gleich zu sehen sein werden."
Theresa Beyer vom Musiknetzwerk Norient gehört zum Kuratorenteam der Ausstellung "Seismographic Sounds". Am Abend vor der Eröffnung herrscht hier im Berliner Kunstraum Kreuzberg/Bethanien noch Baustellenatmosphäre. Überall flimmern Monitore, auch in den zwei Videoboxen direkt hinter dem Eingang. Exotica und Desire, Sehnsucht, steht über dem einen. Hier laufen in Dauerschleife Musikclips aus allen Ecken der Welt. Norient hatte Künstler und Blogger gebeten, die besten fünf Clips aus ihrer Heimat einzusenden. 2000 kamen zusammen, sie bilden den Grundstock für die Ausstellung. Mitgemacht hat auch die indischstämmige Künstlerin Bishi.
Gründer von Norient und zweiter Kurator ist Thomas Burkhalter. Wie Theresa Beyer ist er Musikethnologe:
"Also, Bishi ist eine Künstlerin, die in England lebt, die alte englische Dichtkunst studiert hat, die englische Folkmusik studiert hat, und dieser Musik jetzt mit indischen Instrumenten und indischem Timbre zum Teil singt, und irgendwie eine Parodie macht auf das nostalgische Bild einer reinen weißen britischen Identität."
CTM mit dem Motto New Geographics
Dieses Spiel mit Identität und Wurzeln bildet nicht nur für die Ausstellung den roten Faden, sondern zieht sich durch die gesamte Club Transmediale. Das Musikfestival, kurz CTM genannt, steht passend dazu in diesem Jahr unter dem Motto New Geographics. Weltweit entstehen durch die immer durchlässigeren geografischen, medialen und kulturellen Grenzen neue Hybrid-Kulturen, glauben die Organisatoren. "Seismographic Sounds" will die Spannungsfelder, die sich daraus ergeben, sinnlich erfahrbar machen, aber räumt auch dem Diskurs einen großen Raum ein. In einem Ausstellungsraum steht ein runder Tisch, um ihn herum drei Monitore. Immerzu wechseln die Personen auf den Monitoren. Per Videochat scheinen sie miteinander zu diskutieren.
Theresa Beyer erklärt die Videoinstallation:
"Es sind verschiedene Fragen, die sich uns gestellt haben während dieser Arbeit. Also eben kann ein Bedroom Producer, also einer, der mit seinem Equipment alles selbst produziert, kann der die Welt verändern? Und dazu haben wir in unser Netzwerk gefragt und darum gebeten, dass eben diese ForscherInnen, Musiker und BloggerInnen, die hier aufgetaucht sind, dass sie sich selber filmen mit dem Handy und dem Computer, diese Frage beantworten, auf YouTube laden und so eben auch reagieren aufeinander. Es gibt die Frage, kann man mit Samples von Kriegsgeräuschen einfach so umgehen, wo sind da die ethischen Grenzen? Dann gibt es nicht die Frage, wer in der globalen Musik noch das Sagen hat, da geht es um Machtstrukturen.
Wir gehen hier auch an die Grenzen, was man dürfte und nicht dürfte als Kurator. Den Leuten ist es auch klar, wir haben gesagt, wir remixen unsere Statements so zusammen, wie wir wollen. Wir machen einfach Copy and Paste und machen unsere Geschichte draus."
Mediales Dauerfeuer in der Ausstellung
Was auffällt: In dieser Ausstellung herrscht mediales Dauerfeuer, dem man sich stellen muss, und das ist durchaus so gewollt. Die Kakophonie unserer Gegenwart mit der täglichen Überdosis an Medieninput soll genauso abgebildet werden. Wer tiefer in die Welt der vorgestellten Künstler eindringen will, muss allerdings viel Zeit mitbringen, doch die ist gut investiert.
Das zentrale Kunstwerk ist eindeutig die Installation des mexikanischen Künstlers Pedro Reyes. Er hat aus Waffen von mexikanischen Gangsterbanden, die die Behörden konfisziert und zerstört haben, Musikinstrumente gebaut. CTM-Kurator Oliver Baurhenn stellt sie vor:
"Man sieht hier die Läufe, ich glaube, das sind die Griffe, die werden benutzt als Klangkörper für die Kalschni-Clock, eine Art midi-gesteuertem Vibrafon. Dann gibt es da die Bassgitarre, auch hauptsächlich aus Kalaschnikows zusammen gebaut. Und es geht ihm darum, aus diesen Mörderinstrumenten eben was Hoffnungsvolles zu machen, sprich sie zu transformieren in Musikinstrumente. Musik macht ja einfach immer Freude. Es ist eben auch so ein bisschen unheimlich, weil relativ klar ist: Mit irgendwelchen Waffenelementen, die wir hier sehen, wurden Menschen getötet. Und wenn man sich das bewusst macht, dann bekommt man auch so ein leichtes Schaudern."
Diese Waffeninstrumente spielen stets nacheinander einzeln vor sich hin, aber es gibt auch eine Komposition für das Tutti Orchester, eine beeindruckende Erfahrung. Hier lässt sich der Ausstellungstitel "Seismographic Sounds" am sinnlichsten erleben. Norient führt uns mit ihr in eine Welt abseits unserer Hörgewohnheiten und Rezeptionen.

Die Ausstellung "Seismographic Sounds - Visions of a New World" ist vom 29.1. bis 20.3.2016 im Berliner Kunstraum Kreuzberg/Bethanien zu sehen.

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