Ausstellung "Revolution!" in Karlsruhe

Revolution zum Mitmachen

Ausstellung "Revolution! Für Anfänger*innen"
Das Werk _Diet Revolution_ von Javier Alberich in der Ausstellung "Revolution! Für Anfänger*innen". © picture alliance/dpa/Uli Deck
Oliver Sänger im Gespräch mit Ute Welty · 21.04.2018
Haben Sie das Zeug zum Revolutionär? Das können Sie in der Ausstellung "Revolution für Anfänger und Anfänger*innen" im Badischen Landesmuseum testen. Und nebenbei noch viel über das Wesen von Revolutionen erfahren, wie Kurator Oliver Sänger im Interview erklärt.
Ute Welty: Deutschland ist nicht gerade Spitzenreiter, wenn es darum geht, eine Revolution erfolgreich abzuschließen. 1918 hat es zum ersten Mal funktioniert: Der Kaiser dankte ab, und aus der Monarchie wurde die Weimarer Republik. Wer diese erfolgreiche Revolution vor einhundert Jahren verpasst hat, der kann sich im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe sozusagen nachschulen lassen: "Revolution! Für Anfänger und Anfänger*innen" ist der Titel der Ausstellung, die heute eröffnet, und der Kurator dieser Ausstellung heißt Oliver Sänger. Guten Morgen!
Oliver Sänger: Ja, schönen guten Morgen!
Welty: Karlsruhe ist ja eng verbunden mit der Geschichte einer Revolution, die dann nicht ganz so erfolgreich verlaufen ist, nämlich mit der von 1848. Erfahre ich in Ihrer Ausstellung, was eine Revolution gelingen und was sie scheitern lässt?
Sänger: Wir haben zumindest versucht, dass wir hier Fragen in der Ausstellung Antworten zu geben, indem wir nicht die Geschichte nacherzählen, einzelne Revolutionen nacherzählen, sondern indem wir versucht haben, einen strukturellen Zugriff auf das Phänomen Revolution zu finden und danach zu fragen, wie so etwas funktioniert, wie eine Revolution funktioniert.

Revolutionen haben gemeinsame Strukturmerkmale

Welty: Wie funktioniert sie denn?
Sänger: Das ist eine gute Frage. Es gibt da sicherlich keine Gesetzmäßigkeiten, kein Regelwerk, nach dem es abläuft. Aber was es doch gibt, sind bestimmte Strukturelemente, die dann immer wiederkehren, nach denen man das Phänomen Revolution dann doch analysieren kann.
Welty: Und diese Strukturelemente fächern sich wie auf?
Sänger: Es geht zum Beispiel los mit Ursachen und Auslöser, die eben dazu führen, dass es eine Revolution gibt, dann natürlich noch Fragen wie, welche Akteure treten da auf, wie wird kommuniziert in Revolutionen, welche Rolle spielt die Gewalt, welche Versuche gibt es, ein neues System zu etablieren und so weiter.
Welty: Revolutionen gibt es ja in vielen verschiedenen Ausführungen, als Farben- oder als Jasmin-Revolution, sie ereignen sich im März, Oktober, November, sie kommen als Aufstand daher, als Frühling oder auch als Wende. Welche Revolution konnte sich für Ihre Ausstellung qualifizieren?
Sänger: Es haben sich viele Revolutionen bei uns qualifiziert. Uns ging es jetzt nicht darum, bestimmte Revolutionen herauszugreifen und die dann nachzuerzählen, sondern wir haben eben unter diesen Aspekten, unter diesem strukturellen Zugriff dann nach Belegen gesucht aus ganz verschiedenen Revolutionen, die dieses Phänomen entsprechend eindrücklich beleuchten können. Da haben wir uns in einer Zeitspanne bewegt von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart.
Welty: Das ist aber eine breite Spanne dann.
Sänger: Ja, das stimmt schon, aber das ist eben genau dieser Zeitraum, diese historische Epoche, wo sich eben dieser moderne Revolutionsbegriff, der für uns heute eigentlich prägend ist, herausgebildet hat – also mit der Französischen Revolution in der Französischen Revolution im Wesentlichen. Deshalb muss man da beginnen, und letzten Endes war es auch unser Anspruch, nicht in der Geschichte stehen zu bleiben, sondern bis in die Gegenwart zu kommen, bis zu aktuellen Entwicklungen zu kommen.

Eine Revolution ist mehr als nur ein Protest

Welty: Was unterscheidet eine Revolution von einer Wende oder von einem Aufstand?
Sänger: Von einem Aufstand unterscheidet sie sich wesentlich dadurch, dass es eben nicht nur ein Protest ist gegen etwas, sondern dass eine Revolution auch ein Ziel hat, dass eine Revolution weiß, was sie will, welche Veränderungen sie will und wo sie hin will. Ob sie dann dahin kommt, ist eine andere Frage, aber eine Revolution muss wirklich ein Ziel vor Augen haben und sich nicht nur negativ gegen etwas wenden.


Welty: Wie zeigt man eine Revolution in einer Ausstellung?
17.04.2018, Baden-Württemberg, Karlsruhe: Blick in die Ausstellung "Revolution! Für Anfänger*innen" die vom 21.04.2018 bis zum 11.11.2018 vom Badischen Landesmuseum im Karlsruher Schloss gezeigt wird. Die Schau will im Gedenkjahr zur Badischen Revolution 1848 und zur Novemberrevolution 1918 zum Nachdenken über Revolutionen anregen. Foto: Uli Deck/dpa
Aus den Trümmern der alten Ordnung etwas Neues herstellen: Interaktiv und spielerisch klärt die Ausstellung über das Wesen von Revolutionen auf.© picture alliance / Uli Deck/dpa
Sänger: Man zeigt das revolutionär. Wir haben schon versucht, ein ganz anderes Bild einer Ausstellung zu liefern, indem wir eben nicht, sagen wir mal, im ersten Hinblick schön daherkommen, sondern wollten eben dieses Motiv des Zusammenbruchs, des Umsturzes darstellen.
Wir sind da wirklich auch ganz handfest vorgegangen, indem wir den Bereich, wo wir das zeigen bei uns im Schloss, wo sich früher eine Dauerausstellung befunden hat, die ausgeräumt haben, die Exponate herausgenommen haben und dann die eigentliche Ausstellungsarchitektur schlicht zusammengeschlagen haben, um daraus dann das Bild des Umsturzes und des Umbruchs zu formen, bleiben aber dabei nicht stehen, sondern zum Ende hin dieser Ausstellung ergibt sich dann aus diesem Material des Zusammenbruchs auch wieder eine neue Ordnung. Das wollten wir sehr bildlich und sehr sinnhaft darstellen in der Ausstellung.

Von einer Revolution in Deutschland wird abgeraten

Welty: Das heißt, ich kann was sehen bei Ihnen?
Sänger: Sie können natürlich zunächst mal dieses Bild sehen, wenn Sie in den Raum kommen – Barrikade, Trümmerhaufen –, aber dann, wenn Sie genauer hinsehen, natürlich auch historische Exponate, etwa 80 Stück, überwiegend aus dem eigenen Bestand, die das Phänomen beleuchten. Sie können Bilder sehen, Sie können Texte lesen, wir haben auch viele Medienstationen eingebaut, also wir versuchen auf verschiedenen Wegen, dieses Phänomen Revolution zu vermitteln.
Welty: Warum Revolution für Anfängerinnen und Anfänger? Braucht Deutschland tatsächlich so etwas wie revolutionären Nachhilfeunterricht?
Sänger: Das weiß ich nicht, ob man da jetzt unbedingt, sagen wir mal, zur Revolution anleiten oder aufrufen müsste. Ich denke, unser politisches System hier in Deutschland funktioniert doch so gut, dass es keine Revolution hier braucht, ich würde mal sagen auch zum Glück, aber wir wollten eben die Leute, die vielleicht wirklich, sagen wir mal, mit diesem Phänomen bisher nicht so viel anfangen konnten, die vielleicht auch historisch nicht unbedingt das große Vorwissen haben, auf einer ganz niederen Schwelle mit diesem historischen Phänomen vertraut machen. Deshalb für Anfänger*innen, also da kann jeder kommen und etwas über Revolution erfahren bei uns.
Welty: Sie möchten auch, dass die Besucher ihr eigenes Revolutionspotenzial ausloten mit dem sogenannten Proklamator. Wie soll das genau funktionieren, und was genau ist ein Proklamator?
Sänger: Ein Proklamator ist etwas, das ganz zum Ende der Ausstellung kommt. Also wenn man sich intensiv mit dem Thema dann beschäftigt in der Ausstellung selbst, kann man auf unseren Schlossbalkon treten, die Aussicht genießen, aber da steht noch ein großes, rotes, aus Stahlblech geformtes Megafon, in das man etwas hineinrufen, in dem man sein eigenes revolutionäres Statement dann von sich geben kann, vor dem Hintergrund dessen, was man in der Ausstellung zuvor gesehen hat. Aber das ist nur ein Element, wie wir die Besucher ansprechen wollen. Ein zweites ist, dass wir mit ihnen in der Ausstellung selbst auch ein Spiel spielen. Sie sollen sich da in etwas hineindenken, Fragen beantworten, die zum Schluss dann auch ausgewertet werden, und dann vielleicht eben auch etwas darüber erfahren, wie es um ihr eigenes revolutionäres Potenzial bestellt ist.
Welty: Eine Art Test sozusagen.
Sänger: Ja, das ist eine Art soziologische Befragung, das haben wir auch tatsächlich mit Soziologen der Uni Heidelberg zusammen entwickelt, das ist wirklich auch wissenschaftlich sehr fundiert, kommt aber in der Ausstellung selbst sehr spielerisch daher.

"Manchmal geht es wohl nicht anders"

Welty: Nachdem Sie sich so intensiv in die Geschichte von Revolutionen eingearbeitet haben und mit diesem Hintergrund auf Gegenwart und Zukunft schauen, ist es an der Zeit für eine neue Revolution?
Sänger: Ich hatte gerade schon gesagt, ich glaube, im Blick auf Deutschland hier denke ich nicht, ich hoffe es ehrlich gesagt auch nicht, weil Revolutionen waren doch leider oft auch mit Gewalt verbunden, haben ihre Opfer gekostet, und man weiß nie, wie das Ganze ausgeht, in welche Richtung sich das entwickelt.
Ein stabiles demokratisches System wie hier bei uns, das in der Lage ist, auch Konflikte auszutragen und zu Kompromissen zu kommen, ist doch sehr viel wert. Das ist eine Erfahrung, die wir dann in der Vorbereitung doch gemacht haben, Erkenntnisse, die wir da gewonnen haben.
In anderen Teilen der Welt natürlich sind die politischen Verhältnisse schwierig, problematisch, und ich denke, da ist vielleicht manchmal doch eine Veränderung angebracht. Auf welchem Weg die kommen wird, kommen muss, sei auch dahingestellt. Veränderungen können auch anders stattfinden, müssen nicht über Revolutionen laufen, aber manchmal geht es wohl nicht anders, und eine Revolution muss kommen, um die Dinge voranzubringen.
Welty: "Revolution! Für Anfängerinnen und Anfänger", so heißt die Ausstellung im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe, die Oliver Sänger dort verantwortet. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch!
Sänger: Gerne!
Welty: Bis zum 11. November haben Sie Gelegenheit, Ihre eigene Revolution in Karlsruhe auszurufen und die Ausstellung zu sehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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