Ausstellung "Paula Modersohn-Becker. Der Weg in die Moderne"

Nüchtern und klar draufgeschaut

Eine Frau betrachtet das Werk "Mädchen in rotem Kleid vor Sonnenblume" (1907) von Paula Modersohn-Becker im Bucerius Kunstforum in Hamburg.
Eine Frau betrachtet das Werk "Mädchen in rotem Kleid vor Sonnenblume" (1907) von Paula Modersohn-Becker im Bucerius Kunstforum in Hamburg. © picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt
Uwe Schneede im Gespräch mit André Hatting · 02.02.2017
Zu Weihnachten erst kam ein Film über Paula Modersohn-Becker in die deutschen Kinos, jetzt kuratiert der Kunsthistoriker Uwe Schneede eine Ausstellung ihrer Werke in Hamburg. Im Interview erzählt Schneede, warum Deutschland die Künstlerin gerade neu entdeckt und warum man sich in der Vergangenheit so schwer mit ihr tat.
André Hatting: Am Vormittag wurde die Ausstellung "Paula Modersohn-Becker. Der Weg in die Moderne" im Bucerius Kunst Forum in Hamburg öffentlich vorgestellt, und ab Samstag ist sie dann auch zu sehen. Wieder PMB, wieder Paula Modersohn-Becker? Zu Weihnachten gab es ja gerade erst einen Film über diese Malerin! Vor 110 Jahren ist sie gestorben, also auch noch nicht so ein richtig rundes Datum. Es muss also etwas anderes sein, das den Fokus gerade jetzt auf sie lenkt. Der Kunsthistoriker Uwe Schneede hat diese Ausstellung in Hamburg kuratiert, guten Tag, Herr Schneede!
Uwe M. Schneede: Guten Tag!
Hatting: Ihre Ausstellung ist laut Ankündigung eine konzentrierte Neubetrachtung des Werkes der deutschen Ausnahmekünstlerin. Worin besteht diese Neubetrachtung?
Schneede: Also, ich glaube, alle, die sich ein kleines bisschen mit Kunst der Moderne befassen, haben – oder fast alle – so eine kleine Abneigung gegen Paula Modersohn-Becker. Das hat offensichtlich damit zu tun, dass es ständig über die 100 Jahre hin immer neue Vorbehalte gab und so ideologische Haltungen, sie sei nicht mütterlich genug oder sie sei zu mütterlich oder sie gehöre der Provinz Worpswede an, also der Enge und nicht der großen, weiten Moderne, auch der Feminismus hat da eigentlich keine besonders positiven Früchte getragen. Es geht bei dieser Ausstellung ganz einfach darum, von heute aus noch einmal ganz nüchtern und ganz klar darauf zu schauen, was die künstlerische Bedeutung von Paula Modersohn-Beckers Werk und was die kunsthistorische Stellung ihrer Kunst in der Moderne eigentlich war.
Hatting: Wie würden Sie genau die beschreiben, was ist so modern an ihr?
Schneede: Man muss sich ja vor Augen führen, dass sie ziemlich allein zwischen zwei Künstlergenerationen in Deutschland gearbeitet hat. Sie ist gestorben 1907, ihr großes Werk ist 1906/07 entstanden, also sozusagen das Spätwerk, wo sie mit 31 gestorben ist. Das ist die Generation zwischen Liebermann und den jungen … etwa den Künstlern des Blauen Reiter. Und eigentlich in der deutschen Kunstgeschichte füllt sie eine Lücke auf dem Weg zur Moderne, indem sie auf eine sehr eigenständige Art und Weise neue Bildmittel entwickelt und eigentlich ganz normale Motive, Kinder und vor allen Dingen auch das Selbstbildnis immer wieder neu und auch experimentell formuliert.
Ein Besucherin nutzt am Donnerstag (13.01.2005) die Gelegenheit einer Vorbesichtigung, um sich in der neuen Ausstellung "Femme Flaneur - Erkundungen zwischen Boulevard und Sperrbezirk" im Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen umzuschauen.
Aquarellzeichnungen der Künstlerin Jeanne Mammen aus den 20er-Jahren in einer Ausstellung im Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen im Jahr 2005.© picture-alliance/ dpa/dpaweb - Ingo Wagner
Hatting: Wie würden Sie diese Bildmittel beschreiben, was genau ist da spezifisch?
Schneede: Es ist sehr faszinierend zu sehen, dass sie, um zum Beispiel das Abbilden zu vermeiden und dennoch Porträts zu schaffen, auf die Maskenhaftigkeit in dem Moment, aber ganz genau in dem Moment, im Sommer 1906 zurückgreift, als auch Picasso auf seine Art und Weise zu maskenhaften Formulierungen kommt, um das Abbild auszutreiben. Das sind also parallele Entwicklungen, die sich da vollziehen, das ist eines der ganz wesentlichen Mittel. Und dann führt sie aber ganz dezidierte Gesten ihrer Figuren ein, die halten auch sehr auffällig Blumen oder Früchte hoch, sodass man den Eindruck eines rituellen Vorgangs hat, ohne zu erahnen, aus welchem Zusammenhang das eigentlich stammt. Diese Rätselhaftigkeit ist eine Aufladung des Porträts und eine Neudefinition des Bildes in der Moderne.
Hatting: Wie hat Paula Modersohn-Becker es damals, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, geschafft, sich als Frau in einer Männerwelt durchzusetzen?
Schneede: Das war natürlich außerordentlich schwierig. Man muss sich immer wieder vor Augen führen, dass Frauen an den öffentlichen, an den staatlichen Akademien noch nicht studieren durften. Sie ist deshalb nach Paris gegangen, wo es private, professionelle Kunstakademien gab, an denen auch Frauen arbeiten konnten. Das ist der eine Punkt. Der andere ist, sie hat natürlich schon eine enorme Courage gehabt und einen enormen Drang, als Künstlerin sich zu behaupten, und das hat sie dann auch dadurch erreicht, dass sie, aus Worpswede kommend, sehr häufig in Paris war, dort länger geweilt hat, der letzte Aufenthalt war über ein Jahr lang, und dort mit Künstlerkollegen zu tun gehabt hat und sich eigentlich auch durch die Betrachtung von zeitgenössischer und auch älterer Kunst in Paris - sie ist viel in Privatgalerien, Privatsammlungen und so weiter gegangen, auch zu Künstlern - hat sich dort eigentlich ihre Bestätigung geholt und auch die Anregung, die sie brauchte, um ein ganz eigenständiges Werk zu schaffen.
Eine der bedeutendsten Künsterlinnen des Expressionismus, Paula Modersohn-Becker, dargestellt von Carla Juri im Film "Paula"
Eine der bedeutendsten Künsterlinnen des Expressionismus, Paula Modersohn-Becker, dargestellt von Carla Juri im Film "Paula"© Pandora Film/Martin Menke
Hatting: Es gab kurz vor der Ausstellung – ich hatte es vorhin erwähnt – den Kinofilm "Paula". Haben Sie eine Erklärung dafür, woher dieser Hype, dieses neue Interesse an Paula Modersohn-Becker jetzt herkommt?
Schneede: Naja, das ist ja ein Film, der in der Tradition dieser eigentümlichen Rezeption steht, dass sie immer nur als Frau und nicht als Künstlerin betrachtet wird. Das ist ein Film, ich finde, ein hervorragender Film, der aber ja vom Liebesleben handelt und von einer Frau, einer jungen Frau, aber nicht von einer jungen Malerin. Viel wichtiger finde ich, was dieses neue Interesse angeht, die zwei Ausstellungen, die 2015 in Louisiana bei Kopenhagen und 2016 in Paris stattgefunden haben. Und beides waren die ersten großen internationalen Ausstellungen, in Paris ein enormer Erfolg, und es hat ein deutscher Rezensent, der aus Paris berichtet hat, geschrieben, endlich sei das Werk von Paula Modersohn-Becker dort angekommen, wo es eigentlich herkäme und wo es hingehörte, nämlich in Paris. Ich glaube, das ist insgesamt im Moment so ein neuer, klarer Blick auf die Künstlerin, der auch doch zum ersten Mal eigentlich richtig die internationale Bedeutung bekräftigt.
Hatting: Uwe Schneede, Kurator der Ausstellung "Paula Modersohn-Becker. Der Weg in die Moderne", ab Samstag und dann noch bis zum 1. Mai im Bucerius Kunst Forum in Hamburg zu sehen. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Schneede!
Schneede: Danke, herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema