Ausstellung mit Leihgaben der Nationalgalerie

Expressionistische Meisterwerke in Jerusalem

Eine Frau betrachtet am 18.07.2013 im Museum Berggruen in Berlin vor dem Gemälde "Potsdamer Platz" von Ernst Ludwig Kirchner.
Auch das Werk "Potsdamer Platz" von Ernst Ludwig Kirchner ist in der Jerusalemer Ausstellung zu sehen. © picture alliance / dpa / Ole Spata
Von Torsten Teichmann · 22.10.2015
Es ist wie eine späte Rache der Kunst an den Nazis: Im Israel Museum in Jerusalem sind derzeit 50 Meisterwerke der Berliner Nationalgalerie aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu sehen. Darunter auch viele Werke, die von den Nazis als "entartet" diffamiert worden waren.
Kirchner in Jerusalem. Das kräftige Grün seines Gemäldes "Potsdamer Platz" strahlt Besuchern des Israel Museums entgegen. Sie laufen auf das Werk des Expressionisten zu und stehen bereits mitten in der Ausstellung.
"Nacht bricht ein über Berlin" – so lässt sich der hebräische Titel übersetzt. Die Auswahl basiert auf der Schau "Moderne Zeiten" der Nationalgalerie Berlin, erklärt die Jerusalemer Kuratorin Adina Kamien-Kazhdan:
"Es war ein interessanter Prozess, die Arbeiten durchzugehen. Ich war auch im Magazin der Nationalgalerie in Berlin, dort habe ich Kirchners 'Potsdamer Platz' entdeckt. Und durch die Ausstellung Moderne Zeit zu wandeln und Arbeiten auszuwählen, war eine sehr bereichernde und aufregende Erfahrung."
Die Kuratorin führt durch die Ausstellung. Insgesamt sind es 50 Meisterwerke der Nationalgalerie aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Neben Kirchner auch Werke von Grosz, Nolde, Klee, Kollwitz und Schad.
Die Arbeiten in Jerusalem zu sehen, mache ihn sprachlos, sagt der Direktor der Nationalgalerie, Udo Kittelmann. Überwältigend ist vor allem der Gedanke, dass Kunst, die von den Nationalsozialisten in Deutschland als "entartet" diffamiert worden war, den Terror überlebt hat und jetzt in Israel gezeigt werden kann.
Abschweifen in andere Ausstellungsräume
Durch die offene Architektur des Ausstellungspavillons entsteht in Jerusalem zudem etwas Besonderes: Der Blick schweift von Bildern und Skulpturen in umliegende Räume und Flügel. Es ist möglich, die Meisterwerke im Jerusalemer Museum nicht für sich allein zu betrachten.
Ein Weg führt zum Beispiel in die Ausstellung "We the People", kuratiert von Rita Kersting. Die Deutsche ist Kuratorin für zeitgenössische Kunst am Israel Museum.
Vor ihr liegen vier Teile einer Replika der Freiheitsstatue des Künstlers Danh Vo am Boden – Originalgröße. Schwarz-Weiß-Fotografien aus Süd-Tel Aviv zeigen Immigranten aus Afrika und Asien, die nach Israel geflohen sind. Artur Zmijewski lässt auf 32 Videomonitoren Filme von Demonstrationen laufen: Protest, Stimmengewirr und Unruhe.
Nachdenken über das "Wir"
Rita Kersting: "Wir können uns für unterschiedliche Gemeinschaften entscheiden, wir können unterschiedliche Meinungen äußern, wir können uns in unterschiedlichen Gruppen zusammen tun und öffentliche Meinungen zu Markte tragen."
Demokratie heißt die Arbeit des polnischen Künstlers Zmijewski. Und seine Monitore lassen sich in Beziehung setzen zu den bald 100 Jahre älteren Meisterwerken aus Berlin: Redefreiheit, künstlerische Freiheit, wie verhält sich ein Individuum zu einer Gruppe scheinen zeitlose Themen zu sein.
Rita Kersting: "Das Nachdenken über das Wir ist immer aktuell. Und wie das Ich sich zum Wir verhält. Was ist angeboren, für welches Wir können wir uns entscheiden?"
Die Gedanken können wandern in diesem Zusammenspiel: "Nacht bricht ein über Berlin" ist für sich genommen schon eine herausragende Schau. Mit den umliegenden Ausstellungen im Israel Museum wird daraus aber viel mehr als eine Greatest-Hits-Compilation des deutschen Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit.

Israel Museum, Jerusalem: Twilight over Berlin, Masterworks from the Nationalgalerie, 1905–1945

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