Ausstellung in Berlin

Die unterschätzte deutsche Kolonialgeschichte

Lüderitz in Namibia
Bis heute ist Namibia von der deutschen Kolonialgeschichte im einstigen Südwestafrika stark geprägt. © dpa / picture alliance / Thomas Schulze
Ulrike Lindner im Gespräch mit Nana Brink  · 14.10.2016
Lange wurde die deutsche Kolonialgeschichte unterschätzt, sagt die Historikerin Ulrike Lindner. Sie lobt die neue Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin, die sich erstmalig der Wechselwirkung zwischen Deutschem Reich und seinen Kolonien widmet.
Der deutsche Kolonialismus habe lange als marginal gegolten, weil er schon 1918 endete, sagt Ulrike Lindner, Professorin für Europäische Kolonialgeschichte an der Universität Köln im Deutschlandradio Kultur. Nachdem Deutschland seine Kolonien verloren habe, sei das Land nicht mehr als Kolonialmacht wahrgenommen worden. "Tatsächlich waren die Gebiete doch relativ groß", sagt Lindner. In der deutschen Geschichte habe nach 1945 die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen an erster Stelle gestanden und nicht die Beschäftigung mit dieser kurzen Zeit des Kolonialismus.
Historikerin Ulrike Lindner, Professorin für Europäische Geschichte und die Geschichte des Europäischen Kolonialismus an der Universität Köln, zu Gast bei Deutschlandradio Kultur.
Die Kölner Historikerin Ulrike Lindner erinnert daran, wie stark Deutschland bis heute von seiner kolonialen Vergangenheit geprägt ist. © Deutschlandradio / Cornelia Sachse

Großer Einfluss in Deutsch-Südwestafrika

Am größten sei der Einfluss in Deutsch-Südwestafrika gewesen, dem heutigen Namibia. Es sei die einzige Siedlerkolonie mit den meisten deutschen Siedlern gewesen und der verheerende Krieg habe zum Genozid an den Nama und Herero geführt. "Da war der Einfluss der Deutschen sehr groß und prägend, weil eben auch Siedler nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft dort geblieben sind", sagt Lindner. Starke Prägungen der Kolonialgeschichte seien in den jeweiligen Ländern, aber auch in Deutschland bis heute zu erkennen.

Lob für kritische Ausstellung

Lindner lobte die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin, weil sie versuche diese Wechselwirkungen und den Einfluss des kolonialen Eingreifens bis heute zu zeigen. Die Organisatoren hätten auch Künstler dazu eingeladen, sich mit dem Thema kritisch auseinanderzusetzen. "Insofern kann man wirklich sagen, dass die Ausstellung einen sehr kritischen Blick auf den deutschen Kolonialismus versucht."

Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Im Vergleich zu den großen Kolonialmächten wie Frankreich oder Großbritannien war das Deutsche Reich sicherlich eine kleine koloniale Macht – das zumindest war immer die gängige Meinung. Nicht zuletzt durch die Debatte um das Massaker der deutschen Besatzer an den Herero und Nama und anderen Gruppen in Namibia rückt die koloniale Vergangenheit ins Bewusstsein, und weil auch die Vorstellung vom Fremden, von fernen Welten wieder eine Rolle spielt, anders als vor 100 Jahren, aber vielleicht auch mit Kontinuitäten.
Gestern Abend wurde im Deutschen Historischen Museum Berlin die Ausstellung "Deutscher Kolonialismus. Fragmente seiner Geschichte und Gegenwart" eröffnet. Ulrike Lindner ist Professorin für europäische Geschichte und die Geschichte des europäischen Kolonialismus an der Uni Köln und jetzt hier in "Studio 9". Schön, dass Sie da sind, ich grüße Sie!
Ulrike Lindner: Guten Morgen!
Brink: Warum kommt die Ausstellung jetzt?
Lindner: Ich denke, ein Grund ist es, die ganze Debatte um das Humboldtforum und dass sich eben das Deutsche Historische Museum, das ist ja direkt gegenüber, das jetzt da eben auch präsentieren möchte mit einer eigenen Ausstellung. Und das andere ist halt das, es gab viele Ausstellungen inzwischen zum deutschen Kolonialismus seit zehn Jahren, aber eben noch nie im Deutschen Historischen Museum. Und es gab eben auch Kritik an der sehr kleinen … den kleinen Exponaten zum deutschen Kolonialismus in der Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums und deswegen kommt jetzt eben eine große Ausstellung.
Brink: Ich habe eine ganz interessante Aussage gelesen im Text zur Eröffnung der Ausstellung, heute ist ja für das Publikum offen: Das Deutsche Reich war bis zu seinem Ende 1918 eine der großen europäischen Kolonialmächte. – Ich hatte das immer irgendwie anders in Erinnerung oder hat man das tiefgestapelt?
Lindner: Also, ich denke, man hat es lange übersehen, weil der deutsche Kolonialismus auch international als marginal galt. Aber natürlich war das Deutsche Reich in der Zeit des Hochimperialismus eine wichtige Kolonialmacht und war aktiv in die Expansion der europäischen Kolonialimperien eingebunden und war eben ein wichtiger Teil davon. Und das hat man oft in den Hintergrund gestellt, auch in der deutschen Geschichtswissenschaft, auch in der deutschen Öffentlichkeit.

Große Gebiete

Brink: Ja, weil ja immer so von … Wir können das mal aufzählen, Deutsch-Südwestafrika, das ist ja heute Namibia, Deutsch-Ostafrika, das sind Teile von Tansania, Ruanda, Burundi, pazifische Besitzungen, zum Beispiel das Bismarck-Archipel. Das ist ja in der Summe nicht viel, also, wenn man das anders auf dem afrikanischen Kontinent. Warum hat man das dann sozusagen unterschätzt, gibt es dafür auch eine politische Begründung, wollte man das nicht so wahrhaben?
Lindner: Gut, also, das Hauptargument, warum der deutsche Kolonialismus als marginal galt, ist eben, weil er so früh geendet hat. Weil die Deutschen ihre Kolonien 1918 verloren haben und Deutschland dann eben nicht mehr als Kolonialmacht wahrgenommen worden ist. Aber tatsächlich waren die Gebiete doch relativ groß.
Wenn man sich Belgien anschaut, hat es eben auch vor allen Dingen nur den Kongo und der war erst eine Privatkolonie König Leopolds und ist erst 1908 vom belgischen Staat übernommen worden. Also, insofern war das im Hochimperialismus eine wichtige Kolonialmacht und es hängt eben mit der deutschen Geschichte zusammen, dass nach 45 natürlich die Aufarbeitung des Nationalsozialismus, die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen, mit der Schoah an erster Stelle stand und nicht die Auseinandersetzung mit dieser kurzen Zeit des Kolonialismus.
Brink: Wenn Sie sagen kurze Zeit: Wie haben dann die Kolonien in dieser Zeit die Kultur hier beeinflusst und auch umgekehrt, wie haben die Deutschen sozusagen die Kultur dort in ihren Kolonien beeinflusst?
Lindner: Also, das muss man eben unterscheiden, das ist sehr schwierig, das pauschal zu sagen. Am größten war sicherlich der Einfluss in Deutsch-Südwestafrika, weil es eben die einzige Siedlerkolonie war mit den meisten deutschen Siedlern und dann eben auch diesem verheerenden Krieg mit dem Genozid an den Hama und Herero. Und da war der Einfluss der Deutschen sehr groß und prägend, weil eben auch Siedler nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft dort geblieben sind.
In vielen anderen Kolonien hat sich das eher relativiert, aber Infrastruktur ist geprägt worden, Art der Wirtschaft, der Ausbeutung der Wirtschaft ist geprägt worden, ist ja dann auch von anderen Kolonialmächten übernommen worden, die dann die jeweiligen Kolonien bekommen haben als Mandate oder eben als eigene Kolonien. Und insofern kann man in Kolonien, kann man eine starke Prägung sehen, in Deutschland natürlich auch. Und das ist lange nicht in den Vordergrund gerückt worden, weil dort die Kultur, also, die Literatur mit den Kolonialromanen, die vielen Ausstellungen im Kaiserreich, eben diese verschiedenen Auseinandersetzungen in der Wissenschaft, die Ethnologie hat davon profitiert, die ganzen Museen haben viele Exponate über den Kolonialismus bekommen. Und da gab es eine starke Prägung und das ist lange eben auch in der Geschichtswissenschaft kaum wahrgenommen worden.

Biologischer Rassismus

Brink: Ist das auch so die Figur des Fremden, das uns ja auch heute wieder beschäftigt, des Fremden, des auch Minderwertigen, muss man ja immer dazu sagen? Wenn wir uns dann auch – Sie haben ja angesprochen – das entsetzliche Massaker an den Herero und Nama 1904 anguckt, rührt das auch daher?
Lindner: Es rührt sicherlich auch daher, weil eben diese … Der biologistische Rassismus, der Ende des 19. Jahrhunderts so prägend war, der ist ja immer durch diese Kolonialherrschaft verfestigt und befestigt worden und hat die Kultur sehr geprägt. Und diese Überlegenheitsvorstellung des Westens gegenüber dem globalen Süden, die ist nach wie vor kolonial geprägt und die ist eben auch … Die Stereotype, die man jetzt auch in Deutschland gegenüber schwarzen Menschen hat, sind immer noch kolonial überformt. Also, das ist auf jeden Fall da. Und das besteht auch weiterhin.
Brink: Und finden wir das in der Ausstellung auch dann endlich so aufbereitet?
Lindner: Ja, also, die Ausstellung finde ich wirklich in dem Punkt sehr gut, weil die eben wirklich versucht, diese Wechselwirkungen zu zeigen und eben den Einfluss auch dieses kolonialen Eingreifens bis heute und sich auch mit postkolonialen Themen auseinanderzusetzen, auch Künstler dazu eingeladen hat, die sich damit noch mal kritisch auseinandersetzen. Und insofern kann man wirklich sagen, dass die Ausstellung einen sehr kritischen Blick auf den deutschen Kolonialismus versucht.
Brink: Vielen Dank, Ulrike Lindner, Professorin für europäische Geschichte und vor allen Dingen Geschichte des europäischen Kolonialismus an der Uni Köln. Danke hier für den Besuch in "Studio 9"! Und die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin, "Deutscher Kolonialismus", ist ab heute für die Öffentlichkeit da.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Die Ausstellung "Deutscher Kolonialismus - Fragmente seiner Geschichte und Gegenwart" im Deutschen Historischen Museum in Berlin hat gerade erst begonnen und läuft noch bis zum 14. Mai 2017.

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