Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin

Blicke unter den weiblichen Schleier

Filmstills der Videoinstallation "Soyunma / Undressing" (2006) der türkischen Künstlerin Nilbar Güreş
Filmstills der Videoinstallation "Soyunma / Undressing" (2006) der türkischen Künstlerin Nilbar Güreş in der Austellung "Cherchez la femme" im Jüdischen Museum Berlin 2017. © Jüdisches Museum Berlin / Nicole Tintera
Von Christiane Habermalz · 29.03.2017
Die Ausstellung "Cherchez la femme" im Berliner Jüdischen Museum zeigt, dass religiöse Verschleierung nicht allein Sache des Islam ist. Die Arbeiten reflektieren die aktuelle gesellschaftliche Debatte und erforschen das Verhältnis von religiösen Normen und Identität der Frau.
Am Anfang steht das Haar. Wer die Ausstellung im Jüdischen Museum, in der es ja eigentlich um Verschleierung geht, betritt, stößt als erstes auf die kaum zu bändigende Kraft von weiblichem Haar. Die iranische Künstlerin Mandana Moghaddam hat eine Figur geschaffen, die nur aus Haar besteht. Dunkel, lockig, lang, üppig. Symbol für weiblichen Reiz und Erotik, ein Schönheitsideal, das wohl so alt ist wie die Menschheit selbst. Drum herum an den Wänden: Videoinstallationen von Männeraugen. Miriam Goldmann:
"Ich glaube, das ist vielleicht das Animalische in uns Menschen, Haare können sehr sehr anziehend sein, und ich glaube schon dass das der Grund für die Kopfbedeckung ist, es geht um Macht und Sexualität, um erotische Anziehungskraft und da spielen Haare eine ganz große Rolle."
Wer in Moghaddams Figur das Gesicht sucht, sucht vergeblich, die Identität der Frau ist hinter dem dichten Schleier aus Haaren verborgen. "Cherchez la femme", der Titel der Austellung, ist hier fast buchstäblich anzuwenden. Doch gemeint ist auch, die Frauen selbst nicht aus dem Blick zu verlieren, wenn in öffentlichen Debatten hitzig über das Kopftuch debattiert wird - buchstäblich über die Köpfe der Betroffenen hinweg.
"Die politische Interpretation des Kopftuchs liegt erst mal im Auge des Betrachters. Was nicht heißt, dass es nicht politische Gründe gibt, aber man kann es nicht per se annehmen. Nicht jede Frau, die ein Kopftuch trägt, ist rückständig und unterdrückt."

Ähnliche Vorstellungen von weiblicher Sittsamkeit in den Religionen

Miriam Goldmann ist die Kuratorin der Ausstellung, mit der das Jüdische Museum den Blick auf den weiblichen Schleier kulturhistorisch und politisch weiten möchte. Sie will zeigen: Religiöse Verschleierung ist keine Sache des Islam allein. Alle drei Religionen teilen ähnliche Vorstellungen von weiblicher Sittsamkeit, die sogar auf gemeinsame kulturelle Wurzeln zurückgehen, erläutert Miriam Goldmann.
"Nachweise, die ältesten die wir haben, die reichen zurück bis ins zweite Jahrtausend vor der Zeitenwende, geht nach Mesopotamien, in das Zweitstromland, der heutige Irak, und dort gab es die mittelassyrischen Gesetze, die festgelegt haben, dass Frauen, und zwar die privilegierten Frauen von Stand, wenn sie auf öffentlichen Plätzen sich bewegen, im öffentlichen Raum, sich zu verschleiern haben."
Geblieben ist im Christentum nur noch der Schleier der Nonnen oder bei der Hochzeit. Im Judentum bedecken bis heute orthodoxe Frauen ihr Haar, das als intim und privat gilt. Getragen werden "Tichel", Kopftücher, "Spitzel" - eine eng anliegende Haube - oder "Scheitel", Perücken, die das echte Haar bedecken.
Anschaulich und anrührend ist der in der Ausstellung gezeigte Film von Ruth Schreiber, der die liebevolle per Hand gearbeitete Scheitel-Herstellung für jüdische Frauen zeigt. Bis zu 6000 Dollar kostet eine gute Echthaarperücke. Es gibt sie in lang und lockig bis zur praktischen Kurzhaarfrisur. Ein günstigeres Kunsthaarprodukt aus China ist schon für 600 zu haben. Dass es erlaubt ist, das eigene Haar mit fremdem Haar zu bedecken, erscheint merkwürdig – aber das Judentum findet manchmal erstaunlich kreative Lösungen, erklärt Miriam Goldmann.
"Es geht einfach um die Regeln, dass man sie befolgt, und durch das aktive Befolgen der Regeln drückt man seine Religiosität aus. Aber das Judentum, ich empfinde es als sehr menschlich, als den menschlichen Bedürfnissen durchaus Rechnung getragen wird, und den Frauen wird zugestanden, dass sie attraktiv aussehen möchten, nicht nur in den eigenen vier Wänden, sondern auch im öffentlichen Raum."

Ständiger Spagat zwischen Erwartungen und eigener Identität

Auch muslimische Kopftuchvariationen, das zeigt die Ausstellung, bieten durchaus Möglichkeiten für Zwischentöne. Oft lässt das Tuch noch Raum für verheißungsvolle Botschaften an die männliche Fantasie. Eine am Stirnansatz hochgesteckte Spitze kann signalisieren, dass die Trägerin nicht liiert ist. Mit einem künstlichen Haarteil unter dem Tuch kann am Hinterkopf mehr Volumen erzeugt werden – und die Vision von einer verborgenen üppigen Haarpracht entsteht. Die "Modest Fashion", die sittsame Mode, bedient die modebewusste muslimische und jüdische Klientel.
Viele junge Frauen leben dennoch einen ständigen Spagat zwischen den Erwartungen ihrer Umwelt, der Religion und ihrer eigenen Identitätssuche. Darin liegt die Stärke der Ausstellung: Inmitten einer zunehmend aufgeregten Debatte um das Kopftuch verzichtet sie auf Appelle und politische Statements, indem sie die persönliche Entscheidung der Frauen in den Mittelpunkt rückt. Fasziniert schaut man einer bildschönen Muslima zu, wie sie im Video zeigt wie sie ihr Kopftuch faltet – eine Kunst voller Ästhetik. In Statements erklären Frauen, warum sie sich für oder gegen die Kopfbedeckung entschieden haben. Dass es auch den Zwang zum Tuch gibt, die Sehnsucht zum Beispiel iranischer Frauen danach, ihr Haar zeigen zu dürfen, verschweigt sie dabei nicht. Warum die westlichen Gesellschaft sich mit dem Tuch so schwertut, hat auch kulturhistorische Gründe, sagt Goldmann
"Als Protestant, als Christ kann ich meinen Glauben mit mir allein ausmachen. Das funktioniert für das Judentum und den Islam nicht, weil es eine Religion ist, die bestimmte Handlungen voraussetzt, die zur Religiosität dazugehören. Da ist einfach ein Konflikt vorprogrammiert, und wenn wir sagen, das Säkulare ist das Richtige und das Moderne, dann lässt das bestimmte Grundzüge von anderen Religionen so sehr außer Acht, dass das kollidieren muss!"

Fazit: Eine sehenswerte, lohnende Schau, die neue Blicke ermöglicht – auf und sogar hinter den Schleier.

Cherchez la femme - Perücke, Burka, Ordenstracht
Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin
31. März bis 2. Juli

Die Kuratorin der Austellung, Miriam Goldmann, plädierte im Deutschlandradio Kultur dafür, in der Debatte um Verhüllungen zu differenzieren. Es sei eben ein Unterschied, ob es um muslimische Frauen gehe, die in Deutschland dafür kämpfen, Kopftuch tragen, am öffentlichzen Leben teilnehmen und ihren Beruf ausüben zu können oder ob die Rede sei von Frauen in Ländern, in denen Islam zur Staatsreligion gehört und eine bestimmte Kleidung verordnet.
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