Ausstellung "Hieb § Stich"

Hat Barbie ihren Ken ermordet?

Rekonstruktion eines Tatorts mit Hilfe von Ken
Rekonstruktion eines Tatorts mit Hilfe von Ken © Tobias Wenzel
Von Tobias Wenzel · 17.10.2016
Um Spuren an Tatorten geht es in der Ausstellung "Hieb § Stich" im Medizinhistorischen Museum der Charité in Berlin. Wie solche Spuren aussehen und wie man sie deutet, das macht die Ausstellung anschaulich. Manchmal helfen auch Puppen bei der Aufklärung eines Verbrechens.
"Wenn Sie so wollen, ist dieses Fährtenlegen und Spurenlegen etwas sehr Karl-May-Mäßiges. Da kommt ein bisschen Old Shatterhand vor."
Es klingt, als wollte Thomas Schnalke zu einer vergnüglichen Pfadfindertour einladen. Er steht auch im Wald. Aber der ist nur Fotokulisse. Der Direktor des Medizinhistorischen Museums der Charité führt durch die neue Sonderausstellung "Hieb § Stich. Dem Verbrechen auf der Spur". Kuratorin Navena Widulin hat, gemeinsam mit Kriminaltechnikern der Polizei, zwei plausible Tatorte in die Ausstellung gebaut. Zum Glück ohne Leichen. Dafür Blutsspuren auf Blättern und Ästen am Boden eines Brandenburger Waldstücks. Und, Tatort zwei, eine zerbrochene Vase auf dem Boden einer Wohnung, verschmiertes Blut auf einem umgefallenen Stuhl.
"Dort gibt es eine Tropfspur. Dort hat jemand gestanden, längere Zeit, der geblutet hat. Es ist also jemand niedergeschlagen worden mit dieser Vase aus dem häuslichen Bereich."
Nur warum ist die Person getötet worden? Ging es um einen Sorgerechtsstreit, wie ein Schreiben vom Amtsgericht Oranienburg vermuten lässt? Oder doch eher um eine Strafe dafür, dass dieser Mensch einen so schlechten Literaturgeschmack hatte, wie die Bücher im Sideboard, darunter der historische Kitschroman "Die Nächte der Königin", vermuten lassen?
Genaues Hinsehen lohnt sich bei dieser Ausstellung.

Anschauungsmaterial für angehende Rechtsmediziner

In einer Puppenstube schläft Ken, neben einer Kartonansammlung, in seinem Bett. Von Barbie keine Spur. Aber was ist das? Da ist eine Blutlache! Ken ist tot. Hat Barbie ihn ermordet und ist nun auf der Flucht?
In der Puppenstube wurde, auch als Anschauungsmaterial für angehende Rechtsmediziner, ein realer Tatort in minutiöser Handarbeit nachgebaut. Was erst nach Mord aussah, entpuppte sich bald als Suizid. Der Gute-Laune-Ken war wohl depressiv…
"Und ich habe Fälle im LKA sehen können, da ist anhand eines Tropfens die Beweisführung so gelaufen, dass sozusagen die Aussage des Täters widerlegt wurde. Anhand eines Tropfens!"
Blutspuren auf Holz in einem Waldstück
Blutspuren auf Holz in einem Waldstück© Tobias Wenzel
Nachbau eines möglichen Tatorts mit Frauenleiche
Nachbau eines möglichen Tatorts mit Frauenleiche© Tobias Wenzel
Blutstropfen ist nicht gleich Blutstropfen. Zahlreiche Varianten von Klecks bis Schlieren werden präsentiert, auch die sogenannte "Stechapfelform mit Satellitenspritzern". Diese Spuren erlauben Rückschlüsse auf die Art und den Ort des Verbrechens. Da fragt man sich schon, ob die Blutspurenexperten überhaupt noch entspannt ein Gemälde von Jackson Pollock betrachten können oder gleich ein Verbrechen dahinter sehen…
Museumsdirektor Thomas Schnalke steht vor einem Wandregal mit kuriosen Objekten.
"Ein Schleifstein, der an einen Hobbystaubsauger angeschlossen wurde von einem Hobbybastler. Dieser Schleifstein löst sich aus dem Gestänge, zerplatzt, und ein großer Stein trifft dann den Schädel, spaltet ihn. Und letztendlich führt dann diese massive Gehirnblutung zum Tode."

Viel Unappetitliches

Was nach brutalem Mord aussieht, kann also einfach nur ein dummer Unfall sein. Und auch ein Loch im Kopf bedeutet nicht unbedingt, dass ein Schuss gefallen sein muss. In einem Fall ist ein betrunkener Mann mit seinem Auto von der Straße abgekommen. Dann hat sich, wie Rechtsmediziner herausfanden, ein Scheibenwischer in seinen Schädel gebohrt.
Viel Unappetitliches gibt es in der Ausstellung "Hieb § Stich" zu sehen. Videos zeigen Bilder aus der Computertomografie, dem virtuellen Sektionstisch des modernen Gerichtsmediziners. Die Aufnahme einer Leiche in einem Koffer.
"Wir haben es in Berlin häufig mit Kofferleichen zu tun. Das scheint hier eine beliebte Art der Entsorgung von Leichen zu sein oder Leichenteilen. Also wir haben so drei-, viermal im Jahr Koffer – Rollkoffer werden da gerne benutzt – mit Leichenteilen oder, je nach Größe, natürlich auch mit Körpern."
Erklärt Rechtsmediziner und Spurendeuter Michael Tsokos. Da kommt eine letzte Frage auf: Kann man aus dieser Ausstellung mörderische Inspiration ziehen?
"Nein, das kann man nicht. Da haben wir bewusst drauf geachtet. Und jemand, der diese Inspiration braucht, braucht nur ins Internet gehen."
Wenzel: "Ganz konkret, ich habe einen Kollegen, den mag ich nicht mehr so… Könnten Sie mir da einen Tipp… ?"
Navena Widulin: "Das würde ich nie tun! Aber was ich mitbekommen habe bei meinen ganzen Recherchen in Polizei und Rechtsmedizin: Es ist so gut wie ausgeschlossen, dass man das schafft, weil man immer Spuren hinterlässt."
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