Ausstellung "EchtZEIT" im Bonner Kunstmuseum

Die Kunst des Müßiggangs

Kunstmuseum in Bonn
Kunstmuseum in Bonn © picture alliance / dpa / Wolfgang Moucha
Von Rudolf Schmitz · 07.06.2016
30 Künstler und Künstlerinnen liefern Gegenentwürfe zur grassierenden Atemlosigkeit: Das Kunstmuseum Bonn zeigt eine Ausstellung zur Kunst der Langsamkeit, der Titel "EchtZEIT". Unser Autor Rudolf Schmitz ist eingetaucht in die Kunst der Gemächlichkeit.
Eine monotone männliche Stimme zählt die vergehenden Sekunden, pro Sekunde eine Zahlensilbe. So wird der Besucher empfangen, das ist das Hintergrundgeräusch dieser Ausstellung. Ignazio Uriarte hat vor seiner Künstlerkarriere zehn Jahre im Büro gearbeitet, seine Thema sind Monotonie und Langeweile, damit kennt er sich schließlich aus.
Kurator Volker Adolphs: "Diese Arbeit '8 Stunden' von Ignazio Uriarte dauert acht Stunden genau. Ich weiß nicht genau, bei welcher Zahl, bei 3400, also etwa 28.000 Sekunden, aber auf jeden Fall nach genau acht Stunden endet das Werk. Dann ist der Arbeitstag vorbei und das Zählen kann auch aufhören."
Die Bonner Ausstellung ist eine einzige Mediationsübung zur Entdeckung der Langsamkeit. Hier kann man "runterkommen", hier kann man durchatmen, hier kann man das Handy vergessen. Stattdessen taucht man ein in Zen-artige Aktivitäten. Ein Video von Yelena Popova erzählt die märchenhafte Geschichte von sogenannten "Time Sweepers": Das sind geisterhafte Helfer im öffentlichen Raum, die sich um einen ganz speziellen Abfall der modernen Gesellschaft kümmern.

Poetische Montage von Momentaufnahmen

Adolphs: "Time Sweepers – da sieht man in fernöstlichen Ländern Leute, die Plätze fegen, die eine vergeudete und nicht benutzte Zeit aufsammeln und dann wieder recyclen und dann wieder neu in den Umlauf bringen. Also eine ökonomische Arbeit, aber auch eine ironische Arbeit, wie wir mit unserer Zeit umgehen."
Der Müll und das nicht Verwertete ist auch ein Thema für Christian Marclay. Er zeigt eine poetische Montage aus Momentaufnahmen, die sich einem typischen Gegenstand der Wegwerfgesellschaft widmen: dem Getränkebecher, dem Kaffee-to-go, dem Smoothie, konsumiert auf dem Weg zur Arbeit...
Adolphs: "Christian Marclay zeigt eine neue Arbeit in dieser Ausstellung, er ist durch London gezogen, hat auf den Boden geschaut, hat nicht nur Zigarettenkippen und Kronkorken gefunden, sondern eben auch Deckel von Getränken und Strohhalme. Und diese ergeben das Ziffernblatt und den Zeiger. Und aneinander montiert, in einem Sekundenschritt, wird daraus eine Uhr, die in einer 60-Sekundenarbeit immer umläuft. Das gibt dann eine Minute, das geht endlos weiter. Also aus dem Garbage, aus dem Müll, aus dem Weggeworfenen, aus dem in der Zeit Benutzten wird dann selbst wieder eine Uhr."
Die Geduldsprobe, die Wiederholung, das Kreisen um denselben Gegenstand oder dieselbe Geste – das charakterisiert die Atmosphäre dieser Ausstellung. Jochem Hendricks zeigt einen Glasbehälter, in dem genau 10.258.743 Sandkörner eingeschlossen sind. Er hat Helfer engagiert, die er für diese Zählarbeit nach Stunden bezahlte. Believe it or not!

Sekte der Widerholungstäter

Auch Jens Risch gehört zur Sekte der Geduldsapostel und Widerholungstäter. Aus einem tausend Meter langen Seidenfaden hat er ein Knäuel von fünf mal sieben Zentimetern geknotet. Und dafür vier Jahre gebraucht.
Adolphs: "Das hat für mich schon so einen Beckett-Touch? - Führt auch zu der Frage, was Kunst eigentlich dann leistet und was Kunst sein kann: in dieser mönchischen Konzentration, mit der sich jemand hinsetzt, und dann tagelang, monatelang, jahrelang Knoten macht."
Aber selbst wenn es sich so anhören mag: Dies ist keine Ausstellung, die sagt: Bonjour Tristesse! Sondern hier ist zu entdecken, was man vielleicht schon immer vermutete: Künstler und Künstlerinnen sind in unserer Gesellschaft diejenigen, die sich die Aufmerksamkeit für das Vergehen der Zeit bewahrt haben.
Die der Absurdität des Immer-Gleichen absonderliche und unverwechselbare Dinge abgewinnen. Momente von großer Schönheit. Wie das Video von Marijke van Warmerdam. Ein älteres Paar sitzt ganz still auf einer Parkbank am Randes eines Sees. Nur die Kamera ist in Aktion. Sie fließt und gleitet, sie umkreist das statische Paar. Und präsentiert das Ende des Lebens als utopische Vision, als paradiesische Aufhebung der Zeit.
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