Ausstellung beim Comic-Festival Luzern

Mit dem Zeichner in die Krisengebiete

International Comix-Festival Fumetto in Luzern
International Comix-Festival Fumetto in Luzern © KEYSTONE
Von Jennifer Rieger · 20.04.2018
Die Ausstellung "Shelter – Von Krisen gezeichnet" des 27. Comic-Festivals Fumetto in Luzern wird in einem Luftschutzbunker gezeigt: Damit wollen die Zeichner das Leben mit Krisen, in Kriegen und auf der Flucht dokumentieren.
Vor dem Zivilschutzbunker Sonnenberg hat sich ein kleines Grüppchen von Leuten versammelt. "Herzlich willkommen hier am Fumetto Festival und vor allem in der Ausstellung Shelter. Mein Name ist Manuel, ich werde euch begleiten", begrüßt Manuel Huber die Leute.
Drinnen verbirgt sich die Ausstellung "Shelter – Von Krisen gezeichnet". Sie ist Teil der 27. Ausgabe des Luzerner Comic-Festivals. Ein passender Ausstellungsort. Denn die Künstlerinnen und Künstler, die hier ausgestellt sind, befassen sich mit Krieg und Krisen, Gefangenschaft, Flucht und Vertreibung. Bevor wir die Ausstellung betreten, erzählt Manuel Huber, was es mit der Anlage auf sich hat: "Die wurde '70 bis '76 gebaut und eigentlich so mit Hinblick auf den Kalten Krieg. Und das hier war ein Schutzraum für 20.000 Personen."
Arbeit von Guy Delisle durch ein Fenster in einer Zellentür
Arbeit von Guy Delisle durch ein Fenster in einer Zellentür© David Schittek
Wir betreten den Zugangstunnel. Am Ende kommen wir in einen Raum, der den Warenlift beherbergt, steigen eine Treppe hinunter und stehen vor dem Nachbau einer Gefängniszelle. An den Wänden hängt eine Auswahl von Comicseiten, gezeichnet von Patrick Chappatte, ein Pionier der Comicreportage: "In der Ausstellung gibt es eine Serie, die ich für die New York Times gemacht habe. Es geht um den Todestrakt in den USA, um das Justizsystem."

Begegnung mit Menschen vor der Hinrichtung

Darin beschreibt Chappatte seine Begegnungen mit Menschen, die in den USA zum Tod verurteilt wurden. Zum Beispiel mit Arnold Prieto, mit dem der Zeichner kurz vor dessen Hinrichtung telefonierte: "Es ist ein verrückter Moment, wenn man mit jemandem spricht, von dem man weiß – und der selbst weiß –, dass es die letzten Stunden seines Lebens sind. Ich wusste nicht, wie ich das Gespräch beenden soll, ich glaube, ich habe gesagt: 'Ruhe in Frieden!' Zum Glück habe ich nicht gesagt, 'Schönen Tag noch!' Wenn man an so einem Thema arbeitet, dann wird einem klar: Das sind keine Comics, das ist keine Kunst. Das ist echt."
Doch genau hier liegt die Stärke von Comics, wenn es darum geht, über Gefangenschaft, Kriege und Menschenrechtsverletzungen zu berichten. Sie erzählen die Geschichte aus der Sicht des Zeichners.
"Wir sehen so viele Fotos und sie lösen Gefühle in uns aus, aber wir können nichts damit anfangen. Zum Beispiel war ich in Gaza und habe mit einem kleinen Mädchen gesprochen, das seine Familie bei einem Bombenangriff verloren hat." Ein Comic, sagt Patrick Chappatte, erlaube es dem Leser, solche Szenen mitzuerleben, ohne sich als Voyeur zu fühlen. "So kann man sich die Situation anschauen, mit echter Empathie und zuhören, was das kleine Mädchen in Gaza zu sagen hat."

Der Rückweg dann: Raus aus dem Tunnel!

Dazu kommen die gestalterischen Möglichkeiten des gezeichneten Bildes. Manche der Arbeiten in der Ausstellung sind abstrakt – wie der Animationsfilm "Airport" der Schweizerin Michaela Müller, der in verwischten Farben eher ein Gefühl eines Flughafens, des Unterwegs- und Gehetztseins vermittelt. Andere sind sehr konkret, wie die Fotoreportage der spanischen Journalisten Guillermo Abril und Carlos Spottorno. Einige Künstler stammen selbst aus Krisengebieten, wie Hamid Sulaiman. 2011 ist er aus Syrien geflüchtet, heute lebt er in Berlin. Sein Graphic Novel "Freedom Hospital" erschien 2016.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Arbeiten von Hamid Sulaiman© dpa / Patrick Pleul
"Ich habe angefangen, dieses Buch zu schreiben, anfangs nur für mich, als eine Art Therapie. Gleichzeitig wollte ich verstehen, was in Syrien passiert, deshalb habe ich viele Charaktere erfunden, die alle unterschiedliche Hintergründe und Meinungen haben." Damit erklärt Hamid Sulaiman die Situation in Syrien nicht nur sich selbst, sondern bietet auch dem Leser eine Innenansicht des Konflikts. Doch so mächtig die Ausdruckskraft der Comics auch sein mag, können sie nicht alles erreichen. Vier irakische Künstler waren zum Festival nach Luzern eingeladen, haben aber kein Visum bekommen.
Die Ausstellungsbesucher treten den Rückweg durch den langen Zugangstunnel an. Und sie tun das vielleicht mit einem leisen Gefühl der Erleichterung, dass wir den Bunker einfach wieder verlassen dürfen.

Das Fumetto und die Ausstellung "Shelter – Von Krisen gezeichnet" sind noch bis Sonntag, den 22. April 2018 in Luzern zu sehen.

Mehr zum Thema