Außerirdische in der Philosophie

Marsmenschen wie du und ich

04:26 Minuten
Das mit dem Weltraumteleskop "Hubble" am 17.12.2007 aufgenommene Bild zeigt den Mars.
Geheimnisvoller Nachbar Mars: Der aus der Nähe noch wenig erforschte Planet lädt die Philosophie seit langem zu Gedankenspielen ein. © Nasa
Von Andrea Roedig · 26.07.2020
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Gleich zwei neue Marserkundungen sind diese Woche gestartet: China und die Vereinigten Arabischen Emirate schicken Sonden zum roten Planeten. Auch die Philosophie ist vom Mars fasziniert – aber mit anderen Hintergedanken als die Politik.
Dass die Philosophie sich mit Überirdischem beschäftigt, ist nichts Neues, aber zuweilen kommt auch Außerirdisches in ihr vor. Immanuel Kant zum Beispiel ging in seiner Schrift "Von den Bewohnern der Gestirne" 1755 davon aus, dass durchaus die meisten der uns umgebenden Planeten belebt sein könnten und die mentalen Fähigkeiten der Bewohner umso höher seien, je weiter entfernt sie von der Sonne leben.

Grüne und moralische Marsmenschen

Im 20. Jahrhundert weiß man es besser, doch es geistert auffällig oft der Mars oder der Marsmensch durch die Theorien. Das fängt bei dem Begründer der Phänomenologie Edmund Husserl an, der hin und wieder den Planeten herbeizieht, zum Beispiel um zu bedenken zu geben, dass "die eventuellen Menschen auf dem Mars" sich bei moralischen Urteilen vermutlich anders verhalten würden als wir.
Porträt der Publizistin Andrea Roedig.
Marsmenschen als Verkörperung des Fremden: Andrea Roedig© Elfie Miklautz
Als Husserl seine "Ideen zu einer reinen Phänomenologie" 1913 veröffentlichte, hatte man per Teleskop schon lange die Marskanäle, entdeckt, und es kursierten Theorien über Leben auf dem roten Planeten, einschließlich des grünen Marsmännchens, das ebenfalls 1913 als Comic auftauchte.
Die Marsmenschen bevölkern aber auch viel später noch die analytische Philosophie des Geistes, vornehmlich der 1970er-Jahre. Herbert Feigl hatte als Gedankenexperiment den "Superwissenschaftler vom Mars" eingeführt, der nicht menschlich fühlen könne, aber physikalisch alles über den Menschen wisse. Kennt er die Erdbevölkerung dann wirklich?

Außerirdische: super-intelligent und täuschend ähnlich

Saul Kripke wiederum stellt sich vor, dass Marsianer auf die Erde kommen, die Eis als heiß empfinden. David Lewis denkt sich einen Marsmenschenschmerz, der von unserem sehr verschieden wäre. Und Hilary Putnam überlegt, was es bedeuten würde, wenn Marsianer alle irdischen Katzen getötet und durch Katzen-Roboter ersetzt hätten, die wir aber nicht als Fake erkennen.
Man muss zugeben, dass die Marsphantasien in der Philosophie meist nicht besonders phantasievoll daherkommen: Physikalismus versus Antiphysikalismus, Funktionalismus versus Materialismus – der Mars und die imaginierten Aliens müssen herhalten, um die verschiedensten Positionen argumentativ zu stützen. Im Grunde geht es dabei immer um zwei gedankliche Szenarien: die überlegene Superintelligenz, die uns täuscht, oder der Marsianer als das grundsätzlich von uns verschiedene, aber doch ähnliche Wesen.

Dem Anderen Raum geben oder es kolonisieren

Was verraten diese Marsmenschen-Gedankenspiele? In der Philosophie zeugen sie von dem oftmals halbherzigen Versuch, dem Anderen, Fremden, nicht mit uns Identischen einen Platz einzuräumen, wobei sie umgekehrt gerade zu beweisen scheinen, dass wir halt über unseren Horizont nicht hinausdenken können. Immerhin könnte man sie als den Versuch gelten lassen, andere Perspektiven als die menschliche einzunehmen. Bornierter und weitreichender dagegen sind die konkreten Phantasien der Raumfahrtnationen: Sie zielen darauf, den Menschen irgendwann selbst zum Mars zu bringen.
Hier werden wahre Kolonialideen wieder wach. Es gibt bereits etliche Simulationsstationen auf der Erde, in denen zum Beispiel versucht wird, Pflanzen unter Marsbedingungen zu züchten. Immerhin muss sich der Mensch dort oben – wenn auch vegan – ernähren können. 2037 könnte es soweit sein für die erste bemannte Marsmission oder, realistischer, 2048. Spätestens dann sind die Marsmenschen: wir selbst. Und das Fremde, das ganz Andere? Wir rechnen schon gar nicht mehr damit. Aber Achtung: Die derzeit größte Überraschung für die Menschheit wäre, dass tatsächlich noch Aliens auf der Erde landen.

Andrea Roedig ist Philosophin und Publizistin. Sie ist Mitherausgeberin der österreichischen Kultur- und Literaturzeitschrift "Wespennest". 2015 erschien ihr gemeinsam mit Sandra Lehmann verfasster Interviewband "Bestandsaufnahme Kopfarbeit" und kürzlich ihr Essayband "Schluss mit dem Sex", beide im Klever Verlag.

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