Außergewöhnliche Miliz

Indiens Frauen wehren sich

Von Sabina Matthay · 21.04.2014
Amana Fontanella-Khan schildert die spannende Lebensgeschichte der Inderin Sampat Pal. Sie ist die Anführerin der "Gulabi Gang" - einer Bürgerwehr aus Frauen, die sich dort gegen Unrecht wehrt, wo der Staat versagt.
Ihre Saris leuchten in grellem Pink, doch den Mitgliedern der Gulabi Gang geht es nicht um Mode. Die Saris sind die Uniformen dieser unterprivilegierten Frauen, die Bambusstöcke ihre Waffen im Kampf gegen Ungerechtigkeit in ihrer nordindischen Heimatregion. Vor allem die arme Landbevölkerung des unterentwickelten Landstrichs wird hier vom Staat im Stich gelassen:
"Bundelkhand hat eine der höchsten Kriminalitätsraten aller Regionen von Uttar Pradesh zu verzeichnen. Hier trieben und treiben einige der berüchtigtsten Banditen des Landes ihr Unwesen, und nachdem sie vom Staat kein Recht zu erwarten haben, greifen sie zu Selbstjustiz."
Die Gulabi Gang allerdings will das Gesetz gar nicht selbst in die Hand nehmen: Mit ihren Aktionen will sie Beamte und Polizisten zwingen, Recht und Gesetz Geltung zu verschaffen.
Amana Fontanella-Khan verwebt die Biografie von Sampat Pal, der Anführerin der Gulabi Gang, und die Geschichte dieser ungewöhnlichen Miliz mit einem Vergewaltigungsfall. 2011 wurde eine junge Frau in Uttar Pradesh wegen Diebstahls verhaftet; ihr Arbeitgeber, ein prominenter Landtagsabgeordneter, wollte vertuschen, dass er sie sexuell genötigt hatte. Pal und die Gulabi Gang setzten sich für die Aufklärung des Falls ein und wurden landesweit bekannt.
Zehntausende Frauen sind in der Gulabi Gang aktiv
Fontanella-Khan: "Meistens stehen ihre Stöcke und ihr sehr robustes, aggressives Image im Mittelpunkt der Berichterstattung, dabei setzen sie auf sehr humorvolle Formen des Protests, um die Polizei zu demütigen. Das eignet sich hervorragend, um die Medien auf sich aufmerksam zu machen."
"Draußen tobte die Menge. 'Die Gulabi Gang hat den Subinspektor mit einem Seil gefesselt!' riefen die Leute entlang der Straße einander zu. 'Ich habe gesehen, wie Sampat ihn so ins Gesicht geschlagen hat', sagte jemand in starker Übertreibung dessen, was tatsächlich vorgefallen war. 'Und er flehte: 'Bitte, bitte, hör auf!'', erzählten die Zuschauer den Passanten voller Ehrfurcht vor den ungeheuerlichen Taten der Frauen."
Mit zehn Mitstreiterinnen hat Sampat Pal, die formal ungebildete, aber lebenskluge und tatkräftige Tochter von Tagelöhnern, vor acht Jahren angefangen. Heute sind zehntausende in der Gulabi Gang, fast alle aus unteren Kasten, denn sie leiden am stärksten unter staatlicher Korruption und Willkür.
Die Journalistin Amana Fontanella-Khan beobachtete Gang und Gründerin über mehrere Jahre. Eine frühe Leidenschaft fürs Nähen verschaffte Sampat Pal finanzielle Unabhängigkeit, ein angeborener Sinn für Gerechtigkeit prädestinierte sie zur Ratgeberin gegen Kastendiskriminierung und eheliche Gewalt in ihrer Umgebung.
Das Engagement für die Gulabi Gang führte dazu, dass sie – völlig ungewöhnlich für eine Inderin – nicht mit Ehemann und Kindern zusammenlebt, sondern sich eine Dienstbehausung mit einem männlichen Kollegen teilt.
Pal sei eben mutig, sagt Amana Fontanella Khan:
"Sampat hat ein Händchen dafür, sich ziemlich außergewöhnliche Sonderrechte zu verschaffen."
Die dunklen Seiten der Sampat Pal
Fontanella-Khan beschreibt aber auch die weniger schmeichelhafte Seiten der Sampat Pal und ihrer Familie. Der Mann raucht ständig Haschisch, um sich über seine unglückliche Ehe hinwegzutrösten. Pals politische Bündnisse werden undurchsichtig, als ihr einziger Sohn in die Politik geht. Und die Mutter von vier Kindern setzt sich zwar für "Liebesheiraten" statt für die in Indien üblichen arrangierten Ehen ein, doch sie selbst verheiratet ihre eigenen Töchter in sehr jungem Alter.
"Was für eine Ironie, dass ausgerechnet die Frau, die so vielen Frauen in Bundelkhand zu mehr Rechten und Freiheit verhalf, nicht in der Lage war, die eigenen Töchter vor der Hölle der Kinderehe zu bewahren."
Wohlgemerkt: Nicht Männer sind die Bösewichter in dieser Geschichte - Pal zählt männliche Landbesitzer, Anwälte, Journalisten zu ihren Beratern und Verbündeten - sondern das Übel ist die allgegenwärtige Rechtlosigkeit und Korruption.
So ist "Pink Sari Revolution" mehr als die Lebensgeschichte einer bemerkenswerten Frau und ihrer beherzten Kampfgenossinnen. Im Kern geht es um die marode Natur der Politik und der Justiz Indiens. Und darum, dass Indiens Frauen sehr wohl dagegen zu Felde ziehen können.
Amana Fontanella-Khans Erstling verdient auch deshalb viele Leserinnen und Leser, weil sie das Versagen des indischen Staates an seinen Bürgerinnen und Bürgern auf das Anschaulichste beschreibt und uns dabei in Gegenden des Landes führt, die kein Reiseführer empfiehlt.
Indien hat in jüngster Zeit wiederholt Schlagzeilen wegen brutalen Vergewaltigungen gemacht. Doch diese Straftaten und die staatliche und gesellschaftliche Reaktion darauf sind nur ein kleiner Ausschnitt der Brutalitäten, die Inder einander zufügen. Amana Fontanella-Khans Schlussfolgerung wird deshalb lange gültig sein:
"Es steht außer Frage, dass eine starke Gulabi Gang jetzt dringender benötigt wird denn je."

Amana Fontanella-Khan: Pink Sari Revolution
Amana Fontanella-Khan: Pink Sari Revolution© Hanser Verlag

Amana Fontanella-Khan: Pink Sari Revolution
Die Geschichte von Sampat Pal, der Gulabi Gang und ihrem Kampf für die Frauen Indiens
271 Seiten, 19,90 Euro (als Ebook 15,99 Euro)
Hanser Verlag Berlin