Außenseiter mit Hang zur Provokation

Von Nicole Maisch · 05.12.2006
Der Regisseur Otto Preminger galt als Perfektionist und Kontrollfanatiker. Bei seinen Mitarbeitern waren seine Wutanfälle legendär. Doch sein Streben nach dem Bestmöglichen brachte dem gebürtigen Österreicher in Hollywood große Erfolge.
Jean Seberg als Cécile in Otto Premingers "Bonjour Tristesse" - eine Mauer der Erinnerung trennt sie nicht nur von ihrem Tanzpartner, sondern vom Leben an sich. Der Film beschreibt vor allem diesen Seinszustand. Dafür schafft Preminger eine episodische Struktur, in der er den einzelnen Fragmenten und den Stimmungen darin mehr Bedeutung beimisst als einer kohärenten Erzählung. Damit unterscheidet sich "Bonjour Tristesse", der 1957 in die Kinos kam, radikal von anderen Filmen seiner Zeit.

Premingers Meisterwerk markiert den Beginn des modernen Kinos - so sahen es zumindest die Kritiker der "Cahiers du Cinema". Godard hatte einmal erklärt, "Außer Atem", das sei "Bonjour Tristesse" drei Jahre später.

Aber auch von "Laura", einem Film Noir aus dem Jahr 1944, waren die französischen Kritiker begeistert. Aus einer gewöhnlichen Dreiecksgeschichte mit Krimitouch macht Preminger eine Studie über menschliche Begierden und Vorurteile. Vor allem durch die Bewegung der Kamera und der Figuren in Raum und Dekor lässt der Regisseur verdrängte Gefühle sichtbar werden. Der abgebrühte Polizist McPherson zum Beispiel streicht sehnsuchtsvoll durch die leere Wohnung des vermeintlichen Mordopfers Laura. Er begehrt die Tote, doch wahrhaben will er es nicht.

Eine unbestimmte Angst vor dem Verdrängten und Vergessenen lauert unter der Oberfläche aller Preminger-Filme. Immer wieder zersetzt der Regisseur falsche Gewissheiten und macht deutlich: Jede Figur hat zwei Gesichter und jede Sache zwei Ansichten. Alles eine Frage der Perspektive, die Premingers Kamera immer wieder wechselt.

Dasselbe gilt für die Erzählstruktur: Waldo Leyendecker führt mit der Erinnerung an Lauras Tod in den Film ein. Er war ihr Mentor und erzählt nun ihre Geschichte. Aber nichts ist, wie es scheint, denn in der Mitte des Films taucht die Totgeglaubte plötzlich wieder auf. Die Erzählperspektive öffnet sich, und nicht nur Waldo, alles bereits Gesehene muss in Frage gestellt werden.

Mit "Laura" feierte Preminger seinen ersten großen Filmerfolg. Zuvor aber hatte er bereits als Schauspieler und Regisseur am Theater Karriere gemacht. Der promovierte Jurist, 1906 in Wien geboren, übernahm 1931 von Max Reinhardt die künstlerische Leitung des Theaters in der Josefstadt. Dank seiner Bühnenerfolge erhielt der Regisseur 1935 eine Einladung nach Hollywood. Dem Juden Otto Preminger wurde so das Emigrantenschicksal vieler seiner Kollegen erspart.

Premingers Auseinandersetzungen mit dem mächtigen Fox-Chef Darryl Zanuck waren legendär und ließen die Filmkarriere des Wieners nur langsam anlaufen. Trotz großer Erfolge wie "Laura", das Studiosystem blieb dem Autokraten stets verhasst, so dass er 1952 eine Gesetzesänderung nutzte und sich selbstständig machte. Weiterhin drehte er in fast allen Genres, als unabhängiger Regisseur und Produzent aber entschied er sich immer wieder für gesellschaftlich relevante Themen. Otto Preminger:

"Ich halte jeden Film, den ich mache, in dem Moment, wenn ich ihn mache, für sehr aktuell und wesentlich."

Preminger hatte während der 50er und 60er Jahre gesellschaftspolitische Bedeutung. Er galt als Außenseiter mit dem Hang zur Provokation:

"Der Film handelt von einem Thema, das in Amerika wenigstens auf der Leinwand noch nie behandelt wurde: Rauschgiftsucht."

"Der Mann mit dem Goldenen Arm" war 1955 ein Skandalfilm, wie viele andere Preminger-Werke auch. 1962 zum Beispiel beschäftigte er sich in "Sturm über Washington" mit Homosexualität und den Bespitzelungen während der McCarthy Ära.

Preminger nutzte die verdrängten Dämonen der Amerikaner zur Analyse ihrer Gesellschaft. In all seinen Filmen mutet er dem Zuschauer ein eigenes Urteil zu, indem er die menschliche Existenz immer wieder als eine Frage der Perspektive beschreibt. Der Titel seines letzten Films, "Der menschliche Faktor", scheint diese Essenz noch einmal zum Ausdruck zu bringen. Sieben Jahre nach seinen letzten Dreharbeiten starb Otto Preminger im April 1986 im Alter von 79 Jahren in New York.
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