Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen vor 25 Jahren

Wie ein Neonazi zur Besinnung kam

"Lichtenhagen kommt wieder" lautet eine rechtsextreme Schmiererei in Anspielung auf die ausländerfeindlichen Krawalle in Rostock-Lichtenhagen im August 1992, später wurde das Wort «Nie» dazu geschrieben.
"Lichtenhagen kommt wieder" lautet eine rechtsextreme Schmiererei in Anspielung auf die ausländerfeindlichen Krawalle in Rostock-Lichtenhagen im August 1992, später wurde das Wort «Nie» dazu geschrieben. © dpa picture alliance/ Bernd Wüstneck
Von Nathalie Nad-Abonji · 22.08.2017
Ingo Hasselbach war 1992 im Führungskader der rechtsextremen Szene in Rostock. "Ausländer raus" war sein Motto. Dann steckten Neonazis im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen ein Heim vietnamesischer Vertragsarbeiter in Brand. Für Hasselbach der Anfang von seinem Ausstieg.
Hasselbach: "Im Prinzip haben die das umgesetzt, was wir immer gepredigt haben: Ausländer raus! Das war genau unsere Wortwahl. Und wir haben ihnen auch alle Möglichkeiten in die Hand gegeben, wie sie diese Idee umsetzen. Rostock war für mich sehr erschreckend. Wirklich live zu sehen. Dazustehen und zu sehen; das ist das, was du angerichtet hast. Da kannst du dich nicht rauswinden. Egal, ob du hier einen Stein schmeißt oder einen Molotowcocktail, du bist ein Ideologe, der dahintersteht. Du bist ein geistiger Brandstifter."
Angefangen hat alles mit seiner Tour durch die Gefängnisse der DDR als Jugendlicher: Erst als Punk, verurteilt wegen sogenannten "Rowdytums", wechselt Ingo Hasselbach später die Ideologie und wird Neonazi.
Mit 20 ruft er "Die Mauer muss weg" - und kommt in Isolationshaft. Er, der Sohn SED-treuer Journalisten. Ein Erlebnis, das Ingo Hasselbach jahrelang nicht loslässt. 1993, kurz nach seinem Ausstieg aus der rechten Szene, schreibt er darüber in seinem Buch "Die Abrechnung" : "Nach ein paar Tagen in Einzelhaft war ich dem Wahnsinn schon sehr nahe gekommen. Ich wollte durchdrehen, aber es ging nicht." Es habe niemanden interessiert, was er machte, niemand habe auf sein Verhalten reagiert. Schließlich sei er mit seinen Nerven soweit am Ende gewesen, dass er in seiner Verzweiflung nur noch weinen konnte.
Hasselbach erzählt heute: "An einem Wochenende hat ein Schließer ein Radio vor die Zellen gestellt, im Isolationstrakt, da lief von Springsteen 'The River', und das hat im Prinzip meinen Verstand gerettet. Sonst wäre ich da wahnsinnig geworden."
Im Gefängnis trifft er den Verantwortlichen des "Massakers von Oradour" von 1944 und den ehemaligen Gestapo-Chef von Dresden. Die inhaftierten Nazi-Größen prägen den jungen Mann aus Ost-Berlin mit ihrer Ideologie.

Hasselbach steht bis heute unter Polizeischutz

Wer Ingo Hasselbach heute gegenüber sitzt, hat Mühe, in ihm einen gewalttätigen Neonazi zu sehen. Der schlanke zwei-Meter-Mann in weißem Leinenhemd und Jeans, wirkt sympathisch, klug, wohlüberlegt. So gar nicht wie man sich den Führer der rechtsextremistischen Partei die "Nationalen Alternative" vorstellt. Der Versuch einer Erklärung:
Hasselbach: (kurze Nachdenkpause) "Ich denke mal in meinem Leben gibt es eine Unterbrechung. Als ich ins Gefängnis kam, hat sich mein Leben radikal verändert, auch mein ganzes Sein hat sich verändert. Die Person, die ich davor war, die ist vielleicht nach all diesen Jahren, durch Knast, durch die Neonazi-Szene, durch die Gewalttaten, in die ich involviert war, als ich ausgestiegen war, hat sich so Stück für Stück wieder freigelegt oder diesen Freiraum wiedergeholt. Das ist das, was Leute sagen, die mich vorher und nachher kennen."
Ingo Hasselbachs Ausstieg ist radikal: 1993 bricht er endgültig mit der rechten Szene, die ihm das übelnimmt und nicht nur ihn, sondern auch seine Familie massiv bedroht. Seit dem Tag, als eine Bombe nur durch einen Zufall nicht zündete, steht er unter Polizeischutz - bis heute.
Nach dem Medienhype um seine zwei Bücher, vielen Auftritten in Talkshows und Lesungen in Schulen in den 90ern, verschwindet Ingo Hasselbach ganz bewusst aus der deutschen Öffentlichkeit. Er will nicht länger von Beruf "Ex-Neonazi" sein. Geht in die USA - und auch dort lässt ihn das Thema Gefängnis nicht los.
"Die USA als die große Vorbilddemokratie hat ein Gefängnissystem, was man sich gar nicht vorstellen kann. Isolationshaft, wo hier in Deutschland alle an die Decke gehen, wenn jemand hier zu lange in Isolationshaft ist, ist da gang und gäbe. Da sind Leute zum Teil 40 Jahre in Isolationshaft gewesen. Bis heute. Und noch dazu Todesstrafe. Daran wollte ich mich abarbeiten, das fand ich spannend und wichtig."

Hasselbach arbeitete an der Freilassung von Debra Milke

Ingo Hasselbach schreibt für deutsche und amerikanische Zeitungen über die Inhaftierten in den Todeszellen. Der wohl prominenteste Fall, ist der von Debra Milke, einer gebürtigen Berlinerin, an deren Freilassung er hartnäckig mitarbeitet:
"Da war die Mutter sehr aktiv und der habe ich dann geholfen eine Öffentlichkeitsarbeit auf die Beine zu stellen. Hab's dann geschafft, dass Leute wie Joschka Fischer, Richard von Weizsäcker, Egon Bahr sich sehr stark gemacht haben für diese Frau. Was dann immer noch 24 Jahre gedauert hat, bis sie rauskam aus der Todeszelle. Aber das Resultat war, dass sie freikam."
Obwohl Ingo Hasselbach lange, wie seine Eltern, Journalist sein will, kann er nicht von seinen Zeitungsartikeln leben. Durch einen Zufall - er sagt von sich, er plane nicht - kommt er zum Film. Eine schnelle, chaotische Welt, die ihn fasziniert. Heute arbeitet der 50-Jährige als Szenenbildner mit namhaften Regisseuren wie Dominik Graf und dem verstorbenen Helmut Dietl.
"Jetzt komme ich eher zu so einem Punkt, wo ich darüber nachdenke, was ich nach dem Film mache. (lacht) und da weiß ich gerade noch nicht weiter. Da bin ich noch am Anfang, das entwickelt sich gerade."
Politisch aktiv ist Ingo Hasselbach, der sich als "News-Junkie" bezeichnet, nicht. Wer jedoch seinem Twitter Account folgt, weiß, dass er unmissverständlich Position bezieht - gegen Rechts.
(Online-Fassung: ske)
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