Ausharren in Altkötzschenbroda

Von Thomas Otto · 06.06.2013
Entlang der Elbe bangen die Menschen um ihr Hab und Gut. Heute soll der Scheitelpunkt der Flutwelle Sachsen erreichen. Im Radebeuler Stadtteil Altkötzschenbroda steht das Wasser bereits vor den ersten Häusern – und es steigt weiter.


Noch hat das Wasser nur den Garten des evangelischen Kinderhauses der Friedenskirche überflutet. Obwohl die Elbe hier in Altkötzschenbroda normalerweise 300 Meter entfernt ist, fließt sie jetzt dort, wo sonst Kinder spielen. Die Rutsche führt direkt ins Wasser, vom Gartenzaun in wenigen Metern Entfernung sieht man nur noch die Spitzen. Anne-Katrin Pretschner, die Leiterin des Kinderhauses ist trotzdem ruhig. Sie schaut durch den Garten und verschafft sich einen Überblick:

"Sandkasten ist geflutet, unsere kleine Blockhütte ist unter Wasser und die Matschanlage wäre jetzt schön zum Spielen, weil jetzt hat man ordentlich Wasser. Aber wir warten jetzt einfach. Neun Meter Elbepegel ist unsere magische Grenze und bis dahin passiert gar nichts."

Der Spielplatz in Altkötzschenbroda ist bereits Opfer der Flut geworden (Bild: Thomas Otto)

Ab einem Stand von 9,20 Metern schwappt das Wasser ins Haus. Das hat die Erfahrung von 2002 gezeigt, dem sogenannten Jahrhunderthochwasser. Zwischen dem braunen Elbwasser und der Tür liegen noch einige Zentimeter Höhenunterschied - und ein kleiner Wall aus Sandsäcken – drei Schichten. Den haben freiwillige Helfer aufgeschichtet zusammen mit der Bundeswehr. Gerade kommt eine neue Ladung Säcke an, fünf Soldaten schichten in kürzester Zeit eine weitere Lage auf. Noch ist das Wasser aber dort nicht angekommen. An den Gehwegplatten zeigt sich aber, es kommt näher. Immer wieder kommt eine kleine Welle und schwappt etwas weiter als zuvor.

Pretschner: "Das, was wir jetzt machen mit Sandsäcken ist eigentlich nur, dass man wirklich was gemacht hat und dass man hinterher nicht sagt: Ach hätten wir doch was gemacht."

Denn so hoch und stabil die Schutzmauer auch ist: Das Wasser wird sie nicht abhalten. Das wissen auch die Menschen in Kötzschenbroda.

Pretschner: "Also ich denke die emotionalen Belastungen sind schon da. Aber man weiß, dass man gegen das Wasser nichts machen kann. Also eine äußere Gelassenheit, die innerlich schon auch mit Unruhe besetzt ist, weil man eben nichts machen kann."

Dafür ist Wolfram Salzmann da. Der groß gewachsene Pfarrer mit dem weißbraunen Vollbart steht auf einem kleinen Hügel im Garten des Kinderhauses. Zum Sandsack-Schleppen ist er heute nicht hier.

Wolfram Salzmann: "Na ich versuch die Leute zu beruhigen, die sind alle sehr aufgeregt hier. "Manche sind sehr gelassen, und dazu gehör ich auch."

Jede Hand zählt: Helfer befüllen Sandsäcke (Bild: Thomas Otto)

Pfarrer Salzmann steckt sich ein Zigarillo an, zieht genüsslich daran, dann geht er in Richtung Kirche. Er läuft an den teilweise mehr als 100 Jahre alten Häuser in Altkötzschenbroda vorbei. Nach dem Hochwasser von 2002 wurden viele saniert. Es ist das Schmuckstück der Kleinstadt Radebeul: Kneipen, Geschäfte, Hotels und Kunsthandwerker. Heute sind die Menschen aber damit beschäftigt, ihre Häuser zu verbarrikadieren. Überall das gleiche Bild: Unzählige Helfer füllen zusammen mit Soldaten Sandsäcke. Gerade ist Pause, man wartet auf neuen Sand.

"Wir wohnen in Radebeul und haben gedacht: Wir müssen jetzt helfen!"
"Seit um neun. Wir waren arbeiten bis gestern Abend und sind nun heute hier an unserem freien Tag."
Ganz viele, die durchwandern mit ihrem Rucksack bleiben stehen, fassen mit zu und gehen weiter. Ganz spontan, Hilfe von allen Seiten."

Die nächste Ladung Sand ist da. Nach einer halben Stunde ist auch der in Säcke gefüllt und verbaut.

Pfarrer Salzmann ist an der Friedenskirche angekommen. Zusammen mit Anne-Katrin Pretschner und ihrem Mann Thoralf, dem Kirchner, geht es hoch auf den Turm. Das über 500 Jahre alte Gotteshaus steht auf dem höchsten Punkt, wird wenn, dann zuallerletzt überschwemmt. In 20 Metern Höhe zeigt sich, bis wohin das Wasser schon steht. Ein Notdamm in der Nachbarschaft konnte es nicht aufhalten.

Pretschner: "Wo die Rollläden unten sind, dort geht die Straße lang und dort hatten sie den Notdamm gebaut. Denn hier ist eine Senke ..."

Salzmann: "Mit dem Damm, das ist Scheiße, dass der gebrochen ist."

Pretschner: "Das hätte denen was gebracht."

Der Blick in Richtung Elbe zeigt eine riesige braune Seenlandschaft. Nur das Dach einer Gartenlaube und die Kronen der zahlreichen Obstbäume verraten, dass hier eigentlich kein Wasser fließt.

Der Wasserpegel steigt weiter und weiter (Bild: Thomas Otto)

Wieder unten angekommen zeigt Kirchner Thoralf Pretschner, woran er den Wasserpegel misst:

"Wir haben ja hier eine wunderbare Plakette bzw. diese Laterne, diese berühmte, die also seit elf Jahren nicht sauber gemacht worden ist, weil da der Abdruck, der Schmutzrand vom letzten Hochwasser noch zu sehen ist. Und daran kann man es ganz gut erkennen. Das waren jetzt also noch neunzig Zentimeter bis 2002er Höhe."

Damals hatte das Hochwasser den kompletten Straßenzug überschwemmt.

Mittlerweile hat das Wasser im Garten des Kinderhauses den Sandsack-Wall erreicht. Ein Maulwurf versucht sich in Sicherheit zu bringen. An der tiefsten Stelle des Walls sickert das Wasser bereits unter den Sandsäcken durch. Kinderhaus-Leiterin Anne-Katrin Pretschner will sich das nicht länger ansehen:

"Wir können ja nicht die ganze Nacht hier bleiben, müssen ja irgendwann mal nach Hause gehen. Wir können es ja nicht mehr aufhalten. Es ist alles gemacht, was man machen kann und mehr geht einfach nicht. Man kann einfach nur warten und hoffen, dass es nicht so hoch kommt."