Ausgehen in Paris nach den Terror-Attacken

"Wir zeigen, dass wir keine Angst haben"

Trotz der Terroranschläge: Die Pariser gehen trotzdem aus.
Trotz der Terroranschläge: Die Pariser gehen trotzdem aus. © afp / Adrien Morlent
Von Johannes Kulms · 18.11.2015
Jetzt erst recht! So könnte man die Reaktion mancher Pariser zusammenfassen, die sich das Freundschaftsspiel Frankreich gegen England absichtlich in einer der Kneipen angesehen haben, die in der Nähe der Anschlagsorte liegen. Sie wollen sich ihren Lebensstil nicht nehmen lassen.
Vielleicht 30 Leute sitzen an diesem Abend im Café La Marquise und warten auf den Anpfiff des Freundschaftsspiels England-Frankreich. Das Café liegt an der Kreuzung Rue Saint Maur, rue Jean Pierre Timbaud. Die Gegend ist beliebt bei jungen Leuten mit ihren zahlreichen Kneipen und Cafés. Auch hier, im Café La Marquise ist kaum jemand älter als 35. Auch Kalim und Margaux sind dabei. Er Engländer, sie Französin. Ja, aus persönlicher Sicht sei das Match natürlich was besonderes, meint Kalim.
"Wichtig ist aber, dass das Spiel überhaupt stattfindet. Alle werden die französische Nationalhymne singen. Das ist doch super."
Die Anschläge richten sich nicht nur gegen den Lebensstil von uns jungen Franzosen, sagt seine Freundin Margaux. Sondern auch gegen den der jungen Briten und Deutschen. Doch ändern will sie danach nichts. Dabei liegen hier in einem Umkreis von ein paar hundert Metern gleich mehrere Anschlagsorte.
"Ich werde jeden Abend weggehen"
"Nein, ich habe Lust, noch mehr wegzugehen, mich noch mehr auf die Café-Terrassen zu setzen und noch mehr zu feiern. Ich bin jeden Abend weggewesen und ich werde jeden Abend weggehen. Wir zeigen, dass wir keine Angst haben. Und diese Haltung werden die Terroristen nie auslöschen können. Nie werden sie unsere Freiheit haben. Wir werden uns weiterhin treffen, trinken und gemischt mit Männern und Frauen vor den Cafés sitzen und darüber diskutieren, wie man die Welt verändert. Und das wird nicht aufhören."
Und dann ertönt sie, die Marseillaise: Tatsächlich scheinen nicht nur französische Fußballfans im Londoner Stadion mitzusingen. In der Kneipe ist sowieso alles klar.
Fünf Tage liegen die Attentate von Paris nun zurück. Dutzende Opfer hat es in Kneipen, Restaurants und Cafés gegeben. Jeder dieser Tatorte ist mittlerweile zu einem Gedenkort geworden, den viele Blumen und Kerzen schmücken. Doch wer seitdem durch Paris spaziert, kann erkennen: Leergefegt sind Cafés und Kneipen nicht. Zusätzlich rufen mehrere Aktionen dazu auf, bewusst rauszugehen in die Bistros, um zu zeigen: Wir lassen uns nicht unterkriegen!
Der junge Barmann des Café Marquise findet solche Aktionen gut:
"Es ist seit den Terroranschlägen hier ganz anders geworden, viel ruhiger. Wenn wir heute Abend kein Fußballspiel hätten, wäre es jetzt hier leer. Heute war es furchtbar: Ich hatte fünf Personen seit 17 Uhr."
Das Spiel ist Nebensache
Das Spiel ist inzwischen in vollem Gang. Kurz vor der Halbzeitpause geht England in Führung. Aber das stört niemanden.
"Das Spiel ist uns egal. Wir sind hier wegen der Opfer. Wir wollen ihnen damit Respekt zollen."
- sagt Cedric, der für eine Raucherpause vor die Tür gegangen ist. Er hat die Anschläge auf das Bataclan aus nächster Nähe erlebt, gerade mal 60 Meter entfernt sei er von dem Konzertsaal gewesen, in dem 89 Menschen getötet wurden. Aus der Wohnung eines Freundes hörte er Schüsse und sah blutüberströmte Menschen die Straße entlanglaufen.
"Was mich am meisten geschockt hat, waren die Explosionen und die ganzen Schüsse. Es waren nicht Hunderte, viel weniger. Es gab sechs Schüsse und danach noch mal fünf. Das hat mich wirklich mitgenommen und mich in einen ziemlichen Schock versetzt."
Beim Ausgehen kommt jetzt die Angst mit
In Paris gehen die Leute traditionell viel weg. Aber wenn ich heute rausgehe, dann ist nichts mehr wie früher, so der 27-Jährige:
"Da ist die Angst. Die Angst, dass etwas passiert. Man hat Angst davor, raus zu gehen, einfach die Metro zu nehmen und dass man dann in die Luft gejagt wird. Wir wissen nicht, wie es weitergeht nach diesen Attentaten und wo das alles noch enden soll. Das ist das Problem."
Von militärischen Lösungen hält er nichts, sagt Cédric. Anders sein 33-jähriger Kumpel Mehdi.
"Wir befinden uns nun im Krieg. Das sagt Ihnen nicht der Premierminister, sondern das sage ich Ihnen. Und wir werden diesen Krieg annehmen. Ich werde weder Religion, Rasse noch sonst irgendwas vermischen. Wenn wir Krieg gegen die führen müssen – dann führen wir eben Krieg!"
Das Spiel zwischen England und Frankreich endet dann mit 2:0 für die Briten. Aber das scheint zumindest in dieser Bar niemanden zu stören.
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