Auschwitz

Mit Leidenschaft gegen Intoleranz

Das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau.
Das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. © picture alliance / dpa / CTK / Tesinsky David
Von Christian Rabhansl · 01.11.2014
Vier Menschen wurden von Freunden und Angehörigen getrennt und in Auschwitz zum Musizieren gezwungen: Sie wurden entmenschlicht und gequält. Die in diesem Buch versammelten Lebensgeschichten beeindrucken zutiefst - Lichtblicke im dunkelsten Elend.
Das ist ein erstaunliches Buch. Vier Menschen, drei Frauen, ein Mann, haben die deutsche Hölle erlebt, sie wurden von Freunden und Angehörigen getrennt, zum Musizieren gezwungen während Mitgefangene ermordet wurden, sie wurden entmenschlicht, geschunden, gequält. Und doch lächeln sie und sagen - im Buch wie im Reportagefilm "Mut zum Leben" - Sätze voller Kraft und Güte.
Collage: "Ich bin ein Mensch, das kannst Du mir nicht nehmen. Du kannst mich umbringen, aber ich bin immer noch ein Mensch." - "Wenn man alle Personen und alles verliert, dann hat man nur ein einziges Ding: das Leben." - "Wenn ich hasse, hat Hitler gewonnen, dann hat er mich auch verdorben."
Esther Bejarano. Éva Pusztai. Yehuda Bacon. Greta Klingsberg. Um nicht missverstanden zu werden: Diese Menschen haben Furchtbarstes erlebt. Ihre Berichte sind traurig, erschütternd, abgründig.
"Das ist Auschwitz, wo ich auch im Orchester gespielt habe. Wo ich Musik machen musste, wenn neue Transporte ankamen, von denen wir wussten, dass sie direkt in die Gaskammern gehen. Und mit Tränen in den Augen haben wir da gestanden und konnten nichts machen. Aber wir haben gespielt. Wir haben gespielt und die Leute haben uns zugewinkt und haben sich wahrscheinlich gedacht: 'Naja, wo die Musik spielt, da kann es ja nicht so schlimm sein'. Das war die Taktik der Nazis. Die wollten, dass diese ganzen Menschen in Ruhe in die Gaskammern gehen, dass sie nicht revoltieren. Das ist etwas, das ich nie in meinem Leben vergessen kann - nie im Leben. Ich sage für mich: Das ist das Schlimmste, das ich erlebt habe."
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Buchcover: "Mut zum Leben" von Christa Spannbauerund Thomas Gonschior© Europa Verlag Berlin
Und trotzdem. Wer in der Hölle war, weiß, dass es zum Guten keine Alternative gibt. Mit diesen Worten beschreibt der Künstler Yehuda Bacon seine Erfahrungen im Vernichtungslager. Und seine Zeichnungen prägt ein beinahe verträumter Stil, der zwar kein Leid ausspart, aber stets Hoffnung ausdrückt. Die Drähte des elektrischen Zauns von Auschwitz werden zu Notenlinien. Der Rauch über den Mordbaracken formt das Gesicht des getöteten Vaters.
"Die Frage nach dem Guten und dem Bösen ist eine der tiefsten Fragen, weil wir alle denken: Das Böse ist das Gegenteil vom Guten. Aber in der größten Erkenntnis sieht man, dass das Böse keine Existenz hat."
Yehuda Bacon zeichnet. Esther Bejarano singt. Éva Pusztai schreibt. Greta Klingsberg gärtnert begeistert. Sie alle haben die Opferrolle abgelegt, egal welches Unrecht ihnen angetan wurde. Sie engagieren sich voller Leidenschaft gegen neue Intoleranz, gegen Antisemitismus, für die Menschlichkeit. Esther Bejarano ist nach Deutschland zurückgekehrt. Sie singt gemeinsam mit Konstantin Wecker, sie geht in Schulen, sie tritt in einer bunt gemischten Musiktruppe auf.
"Wir sind Juden, wir sind Christen und wir sind Moslems auf der Bühne. Und wir vertragen uns großartig."
Éva Pusztai kehrte nach Ungarn zurück, durchlitt dort kommunistische Schauprozesse und wartet bis heute auf eine Anerkennung.
"Wir war das überhaupt möglich, wenn nicht fast die gesamte ungarische Gesellschaft dabei geholfen hätte? Wenn nicht die ganze ungarische Regierung und die Staatsbahnen geholfen hätten? Einmal muss doch die Sekunde kommen, in der alles eingestanden werden muss. So lange will ich leben."
Die in diesem Buch versammelten Lebensgeschichten beeindrucken zutiefst. Sie schildern kleine Lichtblicke im dunkelsten Elend, sie zeugen von einer Kraft, von einem Mut und von dem Entschluss, das Leben nicht enden zu lassen. Niemand spricht allzu redegewandte Weisheiten aus, und die Frage nach der Quelle dieser schier übermenschlichen Kraft bleibt letztlich unbeantwortet. Vielleicht muss sie es bleiben. Denn eigentlich wissen wir alle, was zählt: Freundschaft, Solidarität, die schlichte Entscheidung, Gutes statt Böses zu tun. Wir werden vieles erleben, schlechtes überleben, so singen die Auschwitz-Überlebenden, denn: Wir leben ewig.
"Mir lebn ejbig, mir sajnen do / Mir lebri ejbig in jeder Scho / Mir weln lebn un derlebn / Schlechte Zejtn ariber leben / Mir lebn eibig, / Mir sajnen do!" - "Wir leben ewig, wir sind da / Wir leben ewig in jeder Stunde / Wir wollen leben und erleben / Schlechte Zeiten überleben / Wir leben ewig, wir sind da!"
Christa Spannbauer und Thomas Gonschior: "Mut zum Leben"
Die Botschaft der Überlebenden von Auschwitz
Europa Verlag Berlin, 201 Seiten, 19,99 Euro
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