Auschwitz als Lebens- und Erinnerungsort

Moderation: Liane von Billerbeck · 15.08.2007
Mit seinem Film "Am Ende kommen Touristen" thematisiert Regisseur Robert Thalheim die Erinnerungskultur in Auschwitz beziehungsweise Oswiecim. Zugleich gehe es darum, zu zeigen, dass es hier ein "heutiges Leben (gebe), wo Jugendliche auch in die Disco gehen wollen und Träume haben und ihr Leben leben wollen", sagte Thalheim. Hauptdarsteller Ryszard Ronczewski betonte, die Leute aus Oswiecim wollten nicht mit dem Namen Auschwitz in Verbindung gebracht werden.
Liane von Billerbeck: Im Studio sind jetzt der Regisseur des Films "Am Ende kommen Touristen" Robert Thalheim und sein polnischer Hauptdarsteller Ryszard Ronczewski. Guten Tag.

Ryszard Ronczewski: Hallo.

Robert Thalheim: Guten Tag.

von Billerbeck: Robert Thalheim, Sie haben als Zivildienstleistender für Aktion Sühnezeichen Mitte der 90er Jahre selber in Auschwitz gearbeitet. Was wussten Sie vorher darüber und wie waren Ihre persönlichen Erfahrungen dann als Zivi?

Thalheim: Na ja, obwohl ich sehr viel über das Thema wusste, wusste ich über den wirklichen Ort eigentlich gar nichts und ich wollte ja was Sinnvolles tun und was Gutes, und da erschien mir dann Auschwitz erst mal der richtige Ort dafür.

von Billerbeck: Sie haben es schon gesagt, Auschwitz ist der deutsche Name und die Stadt heißt Oswiecim, die existiert ja auch neben diesem großen Lager, neben der Gedenkstätte, 40.000 Einwohner. Wie erlebt man diesen Widerspruch zwischen dem Lager auf der einen Seite, dem ehemaligen, und dem heutigen Leben in der Stadt?

Thalheim: Ja, es ist eben ein nicht aufzulösender Widerspruch. Auf der einen Seite eben diese schreckliche, deutsche Vergangenheit und auf der anderen Seite natürlich ein heutiges Leben, wo Jugendliche auch in die Disco gehen wollen und Träume haben und ihr Leben leben wollen. Und für die Oswiecimer ist das oft schwierig, weil sie immer mit dieser deutschen Vergangenheit identifiziert werden. Egal wo sie hinkommen in der Welt, wenn sie sagen, ja, ich bin aus Auschwitz, werden damit sofort Assoziationen wach und das ist für die Jugendlichen dort dann auch manchmal ein bisschen nervig. Und dieser Ort ist ja auch präsent in der Stadt, man kann nicht viele Kilometer sich in Oswiecim bewegen, ohne nicht irgendwo auf Überreste von dem Lager zu stoßen und diese Vergangenheit, also die Okkupation durch die Deutschen, ist natürlich als Erinnerung auch in vielen polnischen Familien sehr präsent noch. Aber trotzdem, ja, wünschen Sie sich natürlich manchmal eine Normalität und wünschen sich, dass nicht jedes Mal, wenn eine Disco in Oswiecim aufmacht, das wieder auf der Titelseite von der New York Times landet.

von Billerbeck: Ryszard Ronczewski, Sie spielen den ehemaligen Auschwitz-Häftling Stanislaw Krzeminski, wie empfinden Sie es, wenn Deutsche an diesen Ort kommen und ihn auf eine gewisse Weise wieder okkupieren, als ihren Ort der Scham?

Ronczewski: Muss ich sagen, dass dieser Ort Owicim und Lager Auschwitz jetzt klingt in polnischer Sprache wie andere Städtchen. Die Leute aus Owicim wollen nicht mit Auschwitzname zusammengeklappt.

von Billerbeck: Was wussten Sie vorher über Auschwitz? Wie war Ihre Beziehung zu Auschwitz?

Ronczewski: Ich bin in 1930 geboren, ich bin jetzt 77 Jahre alt. Natürlich ich nicht vergesse Kriegszeit, aber jetzt 2007, 2006, wenn wir spielen das, das ist ganz andere Welt. Die Leute, welche jetzt, die sind auch in unsere Film, die junge Schüler und die Fragen, warum und so weiter.

von Billerbeck: Warum Ihre Tätowierung nicht mehr zu sehen ist, so gut.

Ronczewski: Ja, ja, natürlich. Das ist, das war ganz neue Zeit für mich, aber ich will gerne diese Zeit vorüber, vorbeilassen.

von Billerbeck: Sie wollen die hinter sich lassen.

Ronczewski: Ja.

von Billerbeck: Erleben Sie das dann, die Frage an Sie beide, dass das Erinnern an Auschwitz ein anderes ist, wenn ein Jugendlicher oder eine Gruppe von Jugendlichen aus Polen kommt, oder wenn eine Gruppe von Jugendlichen aus Deutschland kommt?

Ronczewski: Für mich nicht. Ich habe gesehen polnische Gruppe und deutsche Gruppe, junge Gruppe. Junge Leute, ja, was ist das, aha, das heißt Krematorium, was ist das Krematorium? Die verstehen ganz nicht, was war in dieser Platz. Das ist nur eine Legende. Natürlich schlechte Legende, aber …

Thalheim: Für die Jugendlichen wirkt das manchmal, wie …

von Billerbeck: Nun wird es ja immer schwieriger, weil immer weniger Zeitzeugen zur Verfügung stehen in Auschwitz, die sterben einfach. Die wenigen, die überlebt haben, werden nicht mehr lange da sein. Man muss also eine andere Art von Erinnerung haben in Auschwitz. Wie wird das sein in der Zukunft, wenn Sie jetzt schon sagen, Herr Ronczewski, die gehen da rein und wissen gar nicht mehr was da war? Die lesen "Krematorium" und sagen, aha, was ist das. Wie wird man das in der Zukunft machen, wenn gar keine Zeitzeugen möglicherweise mehr zur Verfügung stehen, die das erklären können, die das erzählen können?

Thalheim: Na ja, das ist ja ein Problem, das ich versuche zu beschreiben oder aufzuwerfen in dem Film. Für Sven verändert sich ja diese Art der Wahrnehmung, der musealen Wahrnehmung, durch das Verhältnis zu Krzeminski, dadurch, dass er persönlich etwas erfährt über das Drama und Trauma von dem alten Mann. Und darüber wird er doch in die Geschichte hineingezogen oder merkt, da sind auch noch offene Wunden, das ist nicht, was einfach nur vorbei ist. Aber was danach passiert, wenn wir diese persönliche Erfahrung nicht mehr machen können, das ist die große Frage, und wenn ich eine eindeutige Antwort darauf hätte, dann wäre ich glaube ich nicht Filmemacher geworden, sondern würde jetzt als Pädagoge immer noch dort arbeiten. Ich glaube, dass wir es versuchen müssen, dass es natürlich eine Rolle spielt, sich auch Filme anzugucken und dass es sehr wichtig ist, diese Orte auch zu erhalten und sich anzuschauen, und immer wieder zu versuchen zu verstehen oder Schülern zu vermitteln, was da passiert ist. Aber die werden es nicht mehr so erleben, wie Leute, die noch mit Überlebenden sprechen konnten oder deren Eltern oder Großeltern dort als Täter gearbeitet haben. Diese unmittelbare Nähe zur Geschichte wird es halt bald nicht mehr geben.

von Billerbeck: Was wird denn aus dieser Legende Auschwitz, von der Herr Ronczewski gerade sprach?

Thalheim: Ich glaube schon, dass diese Geschichte weiter präsent bleibt bei uns, und ich finde das auch wichtig. Ich glaube, dass wir das natürlich auf der einen Seite den Opfern schuldig sind und auf der anderen Seite es auch ganz konkrete Fragen – Auschwitz oder dieser Tiefpunkt oder das, was Menschen dort in der Lage waren, Menschen anzutun – Fragen an uns heute auch stellt, also, wie gehen wir heute mit Andersdenkenden, mit Minderheiten, mit anderen Religionen um? Daran misst sich ja, wie wir diesen Ort erinnern. Das ist für mich ein ganz persönlicher Schluss daraus, dass Auschwitz einen auch auffordert, im Heute irgendwie zu arbeiten, zu schauen, wie es den Nachbarn geht oder dass man da auch eine besondere Verantwortung hat. Aber das ist natürlich etwas, was man nur aus persönlicher Erfahrung speisen kann, das kann man niemandem vorschreiben.

von Billerbeck: Herr Ronczewski, wie würden Sie das machen? Wie würden Sie jungen Leuten versuchen, Auschwitz zu erklären?

Ronczewski: Im Film "Am Ende kommen Touristen", wir stellen Fragen. Aber wir haben keine Antwort für diese Fragen. Antwort ist heute in der Straße, wir wissen, was gibt es jetzt in Afghanistan, in andere Land, das ist Antwort für dein Film, Robert.

Thalheim: Ja, also, das hoffe ich halt. Das sind die Fragen, die von dem Ort immer noch ausgehen. Aber die kann ich auch nicht beantworten in so einem Film, ich versuche sie nur genau zu beschreiben.

von Billerbeck: Morgens Lager, Abends Disco. Wir sprachen mit dem polnischen Schauspieler Ryszard Ronczewski und dem Regisseur Robert Thalheim, dessen Film "Am Ende kommen Touristen" morgen in unseren Kinos anläuft.