Ausbeutung oder Arbeitsmodell der Zukunft? Pro und Contra Zeitarbeit

08.09.2007
Die Zeitarbeit boomt, wie kein anderes Arbeitsfeld in Deutschland. Seit 2003 hat sich die Zahl der Leiharbeiter auf rund 680.000 verdoppelt. Experten schätzen, dass demnächst die Millionengrenze überschritten wird. Jeder zweite Job in Deutschland entsteht nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit durch Zeitarbeit.
Wurde sie früher eingesetzt, um Auftragsspitzen abzufangen, ist sie heute in vielen Unternehmen längst Teil der regulären Produktion. Besonders hoch ist ihr Anteil in Ostdeutschland – bei BMW in Leipzig liegt er bei 38 Prozent der Beschäftigten.

Für den DGB-Tarifexperten Reinhard Dombre ist dies eine inakzeptabel hohe Zahl, "Das hat mit Flexibilitätsargumenten nichts mehr zu tun. Das ist reine Kostensenkung", erregt sich der Gewerkschafter, der sich seit mehr als 30 Jahren mit dem Thema Zeitarbeit beschäftigt und der seitens des DGB auch 2003 die ersten Tarifverträge mit zwei Zeitarbeitsverbänden ausgehandelt hat. Ihm geht es darum, nicht die Zeitarbeit generell zu verteufeln, sie habe auch ihre guten Seiten, indem sie zum Beispiel älteren Arbeitslosen eine Chance biete, wieder einen Job zu finden. Reinhard Dombre warnt allerdings vor dem rasanten Anstieg der Leiharbeit.

"Wir sehen, dass billige Zeitarbeiter in den Unternehmen immer häufiger Stammkräfte verdrängen. Auf Dauer wird dies das gesamte Tarifgefüge kaputt machen. In vielen Branchen gibt es längst eine Zwei-Klassen-Gesellschaft: Hier die Kernbelegschaft, die den Branchentarifverträgen unterliegt. Und da die wachsende Zahl derer, die im Dienst von Zeitarbeitsfirmen stehen, deutlich weniger verdienen und von denen sich die Entleihbetriebe jederzeit geräuschlos trennen können."
Der Gewerkschafter warnt auch vor einer Abwärtsspirale des Gehaltsgefüges:

"Wir haben es versucht mit Mindestlohnverträgen, aber die Politik hat uns im Stich gelassen!"

Gleiches Geld für gleiche Arbeit, diese Forderung werde von den Firmen sträflich missachtet.
Die Folge: Jeder achte Vollzeit-Leiharbeiter ist auf Hartz IV angewiesen, ein Anteil, so hoch wie in keiner anderen Branche.

Diese Kritikpunkte kennt Thomas Bäumer genau. Der Geschäftsführer der "Tuja Zeitarbeits GmbH" war der Verhandlungsführer des Bundesverbandes Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen e.V (BZA) und rang mit Reinhard Dombre in zähen Verhandlungen um die Tarifbedingungen in der Zeitarbeitsbranche. Er hält den Kritikern die Vorzüge der Zeitarbeit entgegen:

"Ich glaube, dass die Zeitarbeit sicherer ist als andere Jobs. Wenn weniger los ist, habe ich als Arbeitnehmer die Chance, woanders eingestellt zu werden. Es gibt immer Möglichkeiten, qualifizierte Arbeitnehmer zu platzieren. Außerdem: wann hat man als Arbeitnehmer schon die Chance, sich in kürzester Zeit weiterzubilden und unterschiedliche Unternehmen kennen zu lernen?"

Viele Kritiker, auch in der Politik, sähen nicht, "dass die Zeitarbeit der Motor der Beschäftigung in Deutschland ist." Viele Betriebe, die sonst vielleicht nicht mehr in Deutschland produzieren würden, könnten so hier bleiben: "Der Arbeitgeber hat eine Arbeitskraft, die er fristgebunden, temporär und von uns ausgesucht beschäftigen kann. Er muss keine eigene Personalabteilung beschäftigen, sondern kann uns als Personalprofis einschalten."

Er warnt deutlich vor der Forderung des "equal pay", die aktuell auch von der SPD geäußert wird. Wer von der Zeitarbeit "gleichen Lohn für gleiche Arbeit" fordere, müsse aufpassen, "dass daraus nicht gleicher Lohn für keine Arbeit wird."

"Ausbeutung oder Arbeitsmodell der Zukunft? Pro und Contra Zeitarbeit", darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute gemeinsam mit Reinhard Dombre und Thomas Bäumer. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800/22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Informationen im Internet unter:
Deutscher Gewerkschaftsbund
Bundesverband Zeitarbeit