Aus Gründen des Gewissens

Von Christian Berndt · 10.04.2011
Am 10. April 1961 traten die ersten 340 jungen Männer - fast ausschließlich aus christlichen Motiven - ihren Ersatzdienst an. Die ersten "Zivis" galten als Exoten und Drückeberger. Weil die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, wird es ab dem 1. Juli 2011 keinen Zivildienst mehr geben.
"So, Frau Kutscher. Setzen wir uns erst mal, oder? Wollen wir was trinken."

"Nein."

"Nur ein bissel was."

"Nein. Ich will gar nichts."

" Wo wollen sie denn hin jetzt, Frau Kutscher? Wir bleiben ein bisschen sitzen, wir können uns doch unterhalten, oder?"

Ein Seniorenheim in Berlin. Nicolas Brendel leistet hier seinen Zivildienst. Für diese Arbeit hat sich der 21-Jährige ganz bewusst entschieden:

"Man hört halt so Sachen, dass bei der Bundeswehr, zumindest wenn man die Grundausbildung hat, danach ist nur noch Zeit absitzen, man macht halt nicht wirklich was für die Gemeinschaft. Das heißt, man ist zwar in der Bundeswehr, man weiß, dass, wenn mal Krieg sein sollte oder irgendwas - wie soll ich sagen - eine Rettungsaktion wegen Flut etc., dass man dann zum Einsatz kommt, aber nicht wirklich was am Menschen oder mit Menschen macht."

Für den Sohn eines Oberstleutnants war diese Entscheidung in der Familie kein Problem. Zivildienst zu leisten, ist heute gesellschaftlich akzeptiert. Das war lange Zeit anders. Im Grundgesetz wurde das Recht auf Kriegsdienstverweigerung zwar garantiert - direkt nach dem Zweiten Weltkrieg gab es dafür einen breiten Konsens. Aber mit Beginn des Kalten Krieges und der Wiederbewaffnung änderte sich das, auch wenn die Opposition für ein starkes Verweigerungsrecht plädierte, wie 1955 der SPD- Abgeordnete Adolf Arndt:

""Es gibt keine Stellvertretung im Gewissen. Das Gewissen ist
das eigenste, unnachprüfbare Geheimnis eines jeden Menschen. Es entzieht sich der gerichtlichen Feststellung, ob einem Menschen das Gewissen schlägt und warum."

Doch die christlich-liberale Bundesregierung sah die Verweigerung als Ausnahmerecht. 1956 trat das Wehrpflichtgesetz in Kraft, das einen zivilen Ersatzdienst mit einer Gewissensprüfung vorsah, die lediglich religiöse Motive anerkannte. Das Verteidigungsministerium plante für Kriegsdienstverweigerer zur Abschreckung militärähnliche Arbeitskommandos mit - teils gefährlichen - Einsätzen etwa im Katastrophenschutz. Stattdessen aber übernahm man das angelsächsische Vorbild – mit privaten Trägern und einer Tätigkeit vorwiegend im Pflegedienst.

Am 10. April 1961 traten die ersten 340 jungen Männer - fast ausschließlich christlich motiviert - den Ersatzdienst an. Ihre Zahl lag zu Beginn unter einem Prozent der Wehrpflichtigen - das änderte sich radikal mit der Studentenbewegung.1968 verdoppelte sich die Verweigererzahl, und es gab nun Proteste der Ersatzdienstleistenden, etwa gegen Diskriminierungen am Arbeitsplatz. Noch in den 70er-Jahren war das Image der Kriegsdienstverweigerer extrem schlecht, wie einer von ihnen 1972 berichtete:

"Die gängigen Beschimpfungen so, die gängigen Vorurteile, die uns zur Begrüßung angeboten sind: 'Bei Hitler hat es das nicht gegeben, Du Drückeberger, Du Kommunist, geh doch in den Osten'. Trotz der traurigen Erfahrungen mit Weltkriegen werden wir Kriegsdienstverweigerer immer noch nicht ernst genommen, ja diffamiert."

Anfang der 70er-Jahre führten die Proteste zu Reformen - etwa der Lockerung von militärähnlichen Ausgangsbeschränkungen. Allerdings sah die sozialliberale Regierung den Zulauf zum Ersatzdienst auch kritisch, Verteidigungsminister Helmut Schmidt verschärfte deshalb die Disziplinarmaßnahmen. 1972 wurde die abwertende Bezeichnung "Ersatzdienst" durch "Zivildienst" und 1977 die schikanöse Gewissensprüfung durch eine schriftliche Begründung ersetzt. Diese sogenannte "Postkartennovelle" stoppte allerdings das Bundesverfassungsgericht, erst 1984 wurde das mündliche Verfahren abgeschafft. Entscheidend aber war der Wandel im öffentlichen Bewusstsein: Aus sogenannten Drückebergern wurden nun "Helden des Alltags", deren Arbeit in Altersheimen, Kindergärten oder gemeinnützigen Einrichtungen Anerkennung fand. Und die Zivildienstleistenden selbst sehen laut Umfragen zu 93 Prozent ihre Dienstzeit positiv.

"Ich hab viele Erfahrungen mitgenommen, man sieht halt, wenn man jemandem beim Anziehen hilft, und der bedankt sich dafür, dass man eigentlich was geleistet hat. Hier heulen auch mal Bewohner, weil sie sich halt einfach geschmeichelt fühlen, wenn man sich fünf Minuten mit ihnen hinsetzt, einfach dieses Dankeschön, und das ist einfach auch schon was wert, und das finde ich echt gut."

Aus wenigen Tausend Zivildienstleistenden Anfang der 70er-Jahre wurden in den 90ern bis zu 140.000. Knapp zwei Drittel von ihnen arbeiteten in der Pflege und damit in Berufen, die früher als unmännlich galten. Am 1. Juli endet die Wehrpflicht, an die Stelle des Zivildienstes tritt ein Freiwilligendienst.