Aus der Traum

Von Thomas Migge · 14.02.2012
Die Nachricht ging 2008 um die Welt: Ein prominenter italienischer Kunsthistoriker, Fachmann für Renaissancekunst, wurde Bürgermeister in einer mafiaverseuchten Kleinstadt Siziliens. Vittorio Sgrabi wollte mit Hilfe von Kunst und Künstlern die Mafia vertreiben. Doch das Projekt ist gescheitert.
Vittorio Sgrabi gibt das wohl ehrgeizigste kulturpolitische Projekt der letzten Jahre auf.

"Ich hatte geglaubt, Neues nach Sizilien bringen zu können. Etwas Neues und anderes als all das Gerede anderer Bürgermeistern auf der Insel über die Mafia. Ich denke mir, dass es besser ist, wenn ich gehe, bevor alles Positive, das wir hier taten, komplett in den Schmutz gezogen wird."

Der prominente italienische Kunsthistoriker hatte versucht, mit Hilfe von Kunst und Künstlern aus einer von der organisierten Kriminalität, der Mafia, verseuchten Kleinstadt auf Sizilien, einen Hort der Legalität und des Aufbruchs in eine neue mafiafreie Zeit zu machen.

"Ich habe keine Intention mehr, hier auf Sizilien irgendetwas zu machen, vor allem nicht mehr als Bürgermeister, in einer Situation, in der meine Person so bedroht wird."

Vittorio Sgarbi war 2008 in Salemi als Bürgermeisterkandidat angetreten, unterstützt von Künstlern wie dem durch seine provokativen Werbefotos für den Modemulti Benetton weltbekannten Fotografen Oliviero Toscani. Mit einem verwegenen Ziel: Es sollte bewiesen werden, dass ein Kunsthistoriker, mit den richtigen Ideen und Beziehungen, bessere Politik machen kann als Berufspolitiker - die gerade auf Sizilien immer im Ruf der Nähe zur Mafia stehen.

Sgarbi gewann die Wahlen in dem Städtchen mit rund 11.000 Einwohnern und einer über 2000-jährigen Geschichte, denn die Leute hatten die Nase voll von Korruption und Mafia. Bevor die beiden sich heftig zerstritten, organisierte Sgarbi gemeinsam mit dem Fotografen Toscani als Assessor zahlreiche Kunstausstellungen und brachte Künstler, Kunstinteressierte und vor allem viel Kunst nach Salemi. Auch eigene.

Im vergangenen Dezember zum Beispiel stellte der Kunsthistoriker als Bürgermeister ein Werk aus seiner privaten Sammlung aus: das "Porträt von Ludovico Grazioli" von Lorenzo Lotto, einem der wichtigsten Maler der italienischen Renaissance. Ein berühmtes Gemälde, dessen Präsenz in Salemi Kunstfreunde aus ganz Sizilien anlockte. Sgarbi erklärte während der Präsentation seines Bildes, dass es die Frucht seiner lukrativen Arbeit in den Medien seines Bekannten Silvio Berlusconi sei.

Mit Hilfe von Bauunternehmern, die als großzügige Sponsoren auftraten, wurden leerstehende alte Häuser gratis wieder soweit restauriert, dass sie halbwegs bewohnbar waren. Zu Spottpreisen wurden sie dann international feilgeboten. Mit dem Ziel, Nord- und Mittelitaliener, aber auch gut betuchte Ausländer als neue Bürger anzulocken - die sich allerdings verpflichten mussten, die Restaurierung dieser Gebäude aus eigener Tasche zu komplettieren.

Anfangs kamen diese neuen Bürger, unter ihnen auch einige US-Amerikaner, und kauften die Häuser als Ferienresidenzen, doch dann geriet das Projekt ins Stocken, weil Sgarbi nicht nur als Bürgermeister arbeitete, sondern auf verschiedenen Hochzeiten in ganz Italien tanzte, als Buchautor und Kurator zahlreicher Ausstellungen zwischen Mailand und Rom. Er war immer seltener präsent, und niemand kümmerte sich mehr so richtig um das "Anwerben" potentieller Neubürger von auswärts.

Der bekannte neofuturistische Künstler Graziano Cecchini war einer der Berater Sgrabis in Salemi. Cecchini schwärmte immer wieder von dem Traum, aus einer Kleinstadt eine Art, so seine Worte, "sizilianisches Athen der Künste" zu machen:

"Hier beginnt eine neue Ära. Sicherlich gibt es Leute, die uns für verrückt erklären, dass wir zu viel wollen. Aber nehmen wir ein anderes Beispiel: Was war Benetton vor rund 30 Jahren? Eine kleine Firma irgendwo in Venetien, und heute ist es ein weltbekanntes Unternehmen."

Cecchini, Toscani und Sgarbi wollten in Salemi beweisen, dass man mit Kunst, Kreativität und viel Fantasie eine Kleinstadt zu einem kulturpolitischen Magneten machen kann, der Touristen wie Künstler anzieht und wo mit Hilfe von Kultur viele neue Arbeitsplätze geschaffen und soziale Probleme gelöst werden.

Doch hatte man die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Die Staatsanwaltschaft löste den Stadtrat jetzt wegen mafiöser Infiltration auf. Anscheinend betrieben einige der Mitarbeiter des Bürgermeisters undurchsichtige Geschäfte mit lokalen Mafiosi. Dass Vittorio Sgarbi, wie jetzt durch die polizeilichen Ermittlungen bekannt wurde, 2008 von dem ehemaligen christdemokratischen Politiker Giuseppe Giammarinaro gefördert wurde, der in mehreren Fällen mit Bosse unter einer Decke gesteckt haben soll, wirft leider auch einen düsteren Schatten auf den selbsternannten Erneuerer Salemis: Nicht ausgeschlossen ist also, dass auch Sgarbi mit den Freunden der Mafiabosse kungelte.
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