Aus den Feuilletons

Zweierteams gegen den Shitstorm

ARCHIV - 30.06.2002, Japan, Yokohama: Der damalige deutsche Torhüter und Kapitän Oliver Kahn (l), kann im WM-Finale in Yokohama den Schuss des Brasilianers Ronaldo zum 1:0 nicht halten. (Zu dpa "Denkwürdige Torwartfehler in wichtigen Spielen") Foto: Bernd Weissbrod/dpa | Verwendung weltweit
Einer der deutschen Torwart-Helden: Oliver Kahn. © Foto: Bernd Weissbrod/dpa
Von Ulrike Timm · 21.06.2018
Fußball regiert die Feuilletons und da dreht sich viel um die Helden im Tor. Dass die Vorurteile gegen weibliche TV-Kommentatorinnen in den letzten Jahrzehnten offensichtlich nicht kleiner geworden sind, erkennt die "FAZ".
"Im Prinzip bist du als Torwart der letzte Mann, da hilft dir meistens keiner mehr."
Das ist wohl wahr. Manuel Neuer – von ihm stammt der Satz - war nach der WM-Niederlage gegen Mexiko auch derjenige, der als erster Rede und Antwort stand und "Untergangsprognosen parierte wie einen Elfmeter. Seine Botschaft: Noch ist das Spiel nicht verloren."
Passend zur Weltmeisterschaft zeigt die ARD jetzt den Film "Deutschlands große Torhüter", und die FAZ hat sich das nicht entgehen lassen. Und ein bisschen zu viel "Fußball-Folklore" präsentiert bekommen, findet Tobias Rabe. Fünf Torwarte kommen zu Wort, alle sprechen von ihren Heldentaten, Titan Kahn parierte schon aus Wut in den Strafraum geworfene Bananen, Toni Schumacher spielte schon mal mit gebrochenem Finger und Manuel Neuer s.o. Ein bisschen Außenperspektive hätte dem Film gut getan, meint die FAZ.

Kritik wie vor 20 Jahren

Allzu viel Außenperspektive bekommt derzeit die einzige weibliche WM-Kommentatorin zu spüren. Jedes Mal, wenn Claudia Neumann fürs ZDF ans Mikrofon tritt, setzt es einen Shitstorm. Ursula Scheer kommentiert, ebenfalls in der FAZ: "Als Sabine Töpperwien vor zwanzig Jahren bei der ARD-Bundesligakonferenz anfing, da hieß es: Will die klingen wie ein Kerl? Hat die überhaupt Ahnung von Fußball? Anscheinend sind wie seither noch nicht weiter gekommen."
Nun sind die Kollegen Claudia Neumann an die Seite gesprungen, und die FAZ meint, da könne man doch was draus machen. "Wie wäre es mit Zweierteams? Vorzugsweise im gemischten Doppel?" Die Pressebeschauerin gesteht, dass sie solch eine Kombi fast immer als gewollt, über-politisch-korrekt und dauerlaberig empfindet, und freut sich diebisch über den vielleicht ungewollt komischen Schlusssatz der FAZ-Kollegin: "Wenn es dem Zuschauer zu geschwätzig wird, kann er immer noch den Ton abschalten."

Wege zum Berlinale Chef

"Ein Kenner kommt", so denkt die WELT über die Entscheidung, Carlo Chatrian zum künftigen Berlinale-Chef zu machen, und beschreibt dessen Karriere im Jargon dieser Tage von Anspielstation zu Anspielstation, nämlich so:
"Man muss sich die Welt der Festivals wie die Welt des Fußballs vorstellen. Ein Jungtalent beginnt beim TSV Bolzhagen, wird von einem Scout zu Eintracht Braunschweig geholt, bei Borussia Dortmund zum Juwel geschliffen und schließlich vom FC Bayern aufgekauft. Bei Carlo Chatrian hießen die entsprechenden Stationen Festival die Popoli Florenz, Visions di Reel Nyon, Locarno und nun eben Berlinale. Es gäbe für ihn noch eine mögliche Steigerung, das Real Madrid der Festivals in Cannes, aber zunächst lautet sein Kampfauftrag wie der jedes Bayern-Trainers: dem Branchenprimus den Rang streitig machen."
Meine Güte, hat sich WELT-Autor Hanns-Georg Rodek da angestrengt. Und dann empfiehlt er dem Berlinale-Chef in spe Chatrian auch noch so süffisant erst mal einen Deutschkurs, dass unsereins spontan denkt: Foul, Elfmeter.

Hören ist emotionaler

Die Süddeutsche Zeitung meldet, dass eine Studie herausgefunden habe, Hören fordere intensiver als Sehen. Das wissen Radiohörer natürlich längst. Die Studie – vielleicht auch nicht so ganz objektiv, weil von einem Hörbuchverlag in Auftrag gegeben – ließ Probanden erst einen Film sehen und danach die Hörbuchversion des gleichen Werks erleben, und nun raten Sie mal, was mehr reingehauen hat bei Herzschlag, Körpertemperatur und Elektrodermaler Aktivität? Logisch. Alles viel stärker beim Hören der Geschichte. Weil man "aktiv Bilder schöpfen muss".
Am Samstag, beim Schicksalsspiel, das die deutsche Mannschaft diesmal ziemlich früh angesetzt hat, geht es gegen Schweden. Wir werden hören und sehen, und die elektrodermale Aktivität wird bestimmt eindrucksvoll sein, im Frust wie im Jubel. Wäre schön, es sähe nicht ganz so aus wie beim TSV Bolzhagen.
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