Aus den Feuilletons

Wo wurde der Stinkefinger erfunden?

Sigmar Gabriel besucht am 12.08.2016 Salzgitter (Niedersachsen) und zeigt einer Gruppe von pöbelnden rechten Demonstranten den Mittelfinger (Screenshot vom Video). Bild: Junge Nationaldemokraten Braunschweig/dpa
Sigmar Gabriel besucht am 12.08.2016 Salzgitter (Niedersachsen) und zeigt einer Gruppe von pöbelnden rechten Demonstranten den Mittelfinger (Screenshot vom Video). Bild: Junge Nationaldemokraten Braunschweig/dpa © picture alliance / dpa / Junge Nationaldemokraten
Von Hans von Trotha · 17.08.2016
Nach der Unmutsgeste von Sigmar Gabriel gegenüber rechten Demonstranten wirft die "Welt" diese Frage auf. Die Antwort ist überraschend: Dort wo auch die Wiege der europäischen Kultur stand.
Eigentlich lesen wir ja, um Antworten zu bekommen. Aber es gibt diese Tage, da verweigern die Feuilletons das, da hagelt's Fragen über Fragen.
"Was wollen wir regeln?", schleudert uns zum Beispiel Patrick Bahners aus der FAZ im Gestus der ganz großen Fragen entgegen. Es geht um das Burka-Verbot, Bahners sieht "die Burka als Probe auf die liberale Gesellschaft".
CHRIST & WELT stellt dieselbe Frage in der Version: "Darf man die Burka verbieten?", um Elisabeth Raether dagegen argumentieren zu lassen ("In Deutschland können die Frauen anziehen, was sie wollen") und Iris Radisch dafür ("Vollverschleierung ist keine kulturelle Folklore, sondern ein nicht hinnehmbares Symbol islamischer Fanatiker").
Das sogenannte "Pro & Contra" stellt ja die perfideste Variante dar, im Feuilleton eine Frage aufzuwerfen – lässt es den aufgewühlten Leser doch am Ende mit zwei gleichermaßen beglaubigten sich widersprechenden Begründungen allein.

Gabriels ausgestreckter Mittelfinger

In der WELT stellt Dirk Schümer die nach allen Seiten offene Frage "Wer hat's erfunden?". Die Überschrift verschweigt lustigerweise das Thema des Artikels, verrät aber die Auflösung, nämlich: "Die Italiener". Bei der WELT wird eben im Überschriftenbereich noch auf Anstand geachtet. Es geht nämlich um das Erigieren eines menschlichen Mittelfingers zum Zweck der Unmutsäußerung. Also das, was dem Sigmar Gabriel passiert ist. "Wo die Wiege der europäischen Kultur stand, wurde auch der Stinkefinger geboren", erklärt Schümer und nennt das so anmaßend wie hämisch "eine Kulturgeschichte der Gabriel-Geste". Also, wenn alle jetzt immer an Sigmar Gabriel denken, wenn ihnen der Mittelfinger rausrutscht, dann dürften zweistellige Ergebnisse für die SPD bei den nächsten Wahlen als gesichert gelten.
Dramatischer ist da schon die Frage, die Hanns-Georg Rodek in derselben WELT stellt: "Kann es sein, dass Robert Redford Trump wählt?" Der Schock wird sogleich abgedämpft. Trump geht tatsächlich mit einem Redford-Zitat hausieren, das so anfängt: "Ich bin froh, dass er da ist, weil er so ist, wie er ist, und sagt, was er sagt, und es so sagt, wie er es sagt."
Jedoch:
"Das Redford-Zitat war korrekt, wenn auch unvollständig. Er hatte seine Antwort auf die Frage, was er von Trump halte, nämlich so begonnen: 'Er tritt dermaßen von einem Fettnäpfchen ins andere, dass ich daran zweifle, ob er aus all den Näpfchen wieder herauskommt.' Redfords Sprecher legte nach, der Schauspieler habe zwar Vergnügen an der Figur Trump, unterstütze aber nicht seine Präsidentschaftskandidatur."

"What could possibly go wrong?"

Weniger Vergnügen an der Figur Trump hat offenbar Stephen King. In der SÜDDEUTSCHEN zitiert David Steinitz aus einem King-Tweet die Frage: "Wie wäre es mit folgender Idee: Geben wir Amerikas Nuklearwaffen in die Hände eines schlecht gelaunten Arschlochs, das keine Ahnung von Außenpolitik hat. Was soll schon schiefgehen?"
In der ZEIT hat Adrian Lobe schließlich eine beängstigende Anmerkung zu Trumps Twitter-Account parat, nachdem auch er erst einmal Frage auf Frage gehäuft hat, wie: "Was wird in einer technosozialen Umgebung noch als menschlich gelten?" Oder: "Werden wir andere Menschen irgendwann nur noch anhand jener Handlungsvorschriften verstehen, die auch Maschinen steuern?"
Fragen, die direkt in den Twitteraccount von Donald Trump führen:

Trumps Aussagen sind sehr flach

"Forscher des MIT haben kürzlich eine künstliche Intelligenz entwickelt, die auf Grundlage von Reden Donald Trumps typisierte Sätze generiert und auf Twitter postet. Trumps Aussagen sind so flach, dass ein neuronales Netzwerk sie rasch lernen kann. Andererseits gebärdet er sich in seinen Phrasen selbst wie ein Chatbot. Und er hat auf seinem eigenen Twitter-Account schon Sätze von Chatbots retweetet, so dass nicht klar ist, ob die künstliche Intelligenz nun nach Trumps genuiner Rhetorik modelliert ist oder nur maschinell anmutende Skripte weiter reproduziert."
In den Schwindel, der sich bei dieser Wendung einstellt, schleicht sich die Frage, ob nicht womöglich auch unsere Feuilletons längst rechatbottet sind? Ja, sind nicht die vielen Fragen ein Indiz genau dafür sind? Gibt ein Chatbot Antworten? Kann der das überhaupt? Oder stellt er am Ende nicht doch immer wieder nur eine Frage?
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