Aus den Feuilletons

Wo die Nächstenliebe endet

Blick vom Berliner Dom auf den Fersehturm
Viele Christen mit Rechtsdrall verdrehten das Christentum in ein antimuslimisches Abwehrbollwerk, kommentiert die Juristin Liane Bednarz in der "TAZ". © picture alliance / Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa
Von Adelheid Wedel · 18.06.2018
Die "TAZ" fragt, wie das Christentum für die Politik instrumentalisiert wird – und findet Berührungspunkte zwischen Christen und Rechten. Ebenfalls in Berührung mit rechten Positionen wurde Rüdiger Safranski gebracht, zu Unrecht meint die "FAZ".
"Die Abwehr der Migration macht zivilisatorische Fortschritte zunichte." Mit dieser genauen Beobachtung lässt sich ein Artikel in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zusammenfassen. Gustav Seibt klingt desillusioniert, wenn er zu dem Schluss kommt: "Wieder einmal wirken ein paar Jahrhunderte wie ausgelöscht. Offenbar kann man alles zurückdrehen."

Grausamkeit an der mexikanischen Grenze

Es geht ihm um das Maß an Grausamkeit, aufgerührt durch eine Meldung, dass amerikanische Behörden an der mexikanischen Grenze Kinder von ihren Eltern trennen lassen, wenn diese die Grenze illegal überschritten haben. "Zwischen Mitte April und Ende Mai wurden rund 2000 Kinder von ihren Familien getrennt." Solches Verhalten mobilisiere "ein Maximum an Ängsten. Die Grausamkeit soll hier einen unmittelbaren Zweck erfüllen, die Abschreckung", meint der Autor.
Und das wirkt gegen einen der "kostbarsten, womöglich unwahrscheinlichsten zivilisatorischen Fortschritten der letzten 250 Jahre." Gemeint ist "die Zurückdrängung von öffentlicher, obrigkeitlich sanktionierter Gewalt vor allem in Europa." Seibt macht deutlich, die Transporttoten, die Erstickten und Ertrunkenen, die schmutzigen Lager, die schneidenden Zäune und jetzt die entrissenen Kinder, all das, was seit vielen Jahren alltäglich geworden sei, errege von Fall zu Fall vorübergehendes Entsetzen. Aber: "Das sinnlose Sterben an den Rändern unserer Welt ist eine Aufforderung, Migration zu ordnen, anstatt einen Krieg mit Bildern zu führen, bei dem wir selber verlieren."

Ehrenrettung für Rüdiger Safranski

Nichts anderes scheint Rüdiger Safranski gefordert zu haben, der – wie wir aus der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG erfahren –, an diesem Dienstag den noch von Helmut Schmidt initiierten Deutschen Nationalpreis erhält. Christian Geyer, vielleicht beeindruckt von der Ehrung für "das überbordende Erzähltalent", so nennt er Safranski, setzt zu dessen Verteidigung an und zitiert noch einmal den vor Monaten im "Spiegel" abgedruckten Angriff auf den Schriftsteller.
Dort nannte man ihn "einen Stichwortgeber der Neuen Rechten". Geyer relativiert das nun: Kann es sein, dass Safranski "in dieser Auseinandersetzung lediglich eine Position der kontrollierten Migration formulierte, mit gebremster Polemik vorgetragen, dabei auch die Reizvokabel "fluten" nicht scheuend." Der "Spiegel" allerdings, berichtet die FAZ, habe "kurz vor der Preisverleihung noch einmal nachgelegt … und nimmt Safranski in die Mitverantwortung für Tausende von Toten, die der Seehofer-Söder-Putsch nach sich ziehen werde".

Nächstenliebe - örtlich interpretiert

Wenn diese Namen fallen, kommen wir schnell zu Überlegungen, wie "das Christentum für die Politik instrumentalisiert wird". Dazu gibt es in der Tageszeitung TAZ ein Interview mit der Juristin Liane Bednarz, "die in ihrem aktuellen Buch "Die Angstprediger" untersucht, wo sich Rechte und Christen treffen. Sie findet überraschend viele Berührungspunkte". Einer ihrer Kernsätze lautet: "Nächstenliebe wird von rechtsgerichteten Christen häufig örtlich interpretiert: Der Nächste ist dann etwa mein Mann, meine Familie, mein Land". Sie sagt auch: "Viele Christen mit Rechtsdrall … verdrehen das Christentum in ein antimuslimisches Abwehrbollwerk. Das kann gerade in der Flüchtlingsfrage zu einer kalten Variante des Christentums führen, es gibt dort bei vielen kaum Empathie".

Das Goethe-Institut als Anstalt für Weltverbesserung?

Debattenkultur, Fremdheit und Populismus sind Themen, um die das Interview mit dem Generalsekretär des Goethe-Instituts, Johannes Ebert, in der FAZ kreist. Kürzlich hat das Institut die Schwerpunkte seiner Programmarbeit verkündet. Paul Ingendaay fragt: "Besteht die Gefahr, dass Ihr Institut zu einer Anstalt für Weltverbesserung wird?" Die nüchterne Antwort: "Es sind ja die großen Themen, die uns bewegen. Unser Auftrag kommt in denkbar lapidaren Worten daher: Kulturaustausch mit der Welt, Förderung der deutschen Sprache, Information über Deutschland… Den emanzipatorischen und aufklärerischen Ansatz leugnen wir nicht". Und: "den Menschen, die aus einem einengenden System ausbrechen wollen, müssen wir eine Plattform bieten".
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