Aus den Feuilletons

Wissensdurst und Machthunger

Frank Schirrmacher
Frank Schirrmacher (1959-2014) © dpa / picture alliance / Frank Pusch
Von Tobias Wenzel · 13.06.2014
Sein Outfit war von Tchibo, er trank Cola Light und fuhr Boot mit Tom Cruise. Über Frank Schirrmacher gibt es neben eher trivialen Details auch weitere gewichtige Charakterisierungen zu lesen: "Apperzeptionsgenie", "Kindheitsperformance" und "Poesiefähigkeit".
"Frank Schirrmacher, der sprach- und wirkmächtigste Kulturjournalist, den Deutschland je hatte, ist tot." Mit diesem mutigen Superlativ eröffnete Edo Reents in der FAZ von diesem Freitag seinen Nachruf auf den Mitherausgeber derselben Zeitung.
Deren Redaktion hat nun Platz im Feuilleton der Samstagsausgabe geschaffen: für acht weitere Nachrufe auf Schirrmacher. "Er war kein Journalist, er war ein Geist, der die Welt reflektierte", schreibt Stefan Aust über das, wie er sagt, "spätgeborene Genie". Ein "Apperzeptionsgenie" nennt ihn Dirk Schümer: "Das ist jemand, der in Sekundenbruchteilen Zusammenhänge und Schwingungen erspürt, die andere Menschen in Jahren nicht mitkriegen." Günther Jauch erinnert sich an seinen Freund Frank Schirrmacher: "Eine seiner stets von schärfstem Verstand gekennzeichneten Analysen mit dem Hinweis zu unterbrechen, dass er zwischendurch mal sein Hemd in die verschwaschene Hose stecken solle, konterte er mit dem Geständnis, sein Outfit ohnehin nur von Tchibo zu beziehen, das dem Träger dann doch keine besondere Eleganz abnötige." Jauch beschreibt Schirrmachers "Wissensdurst" als "fast kindlich naiv".
Als "Kindheitsperformance" erschien auch Martin Walser "Schirrmachers abenteuerlich sprunghafte Themenfindungen samt der öffentlichen Ausbeutung". "Da ist er mir vorgekommen wie ein Kind, das einen neuen Baukasten aus der Verpackung zieht", schreibt Elfriede Jelinek in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG über Schirrmachers Begeisterung dafür, das Feuilleton um Themen wie neue Technologien zu erweitern. Nicht nur die kindliche Neugier, auch der Humor und vor allem das Gespür für aufkommende Fragen und Probleme ziehen sich leitmotivisch durch die Nachrufe der deutschsprachigen Feuilletons. "Schon bevor wir uns trafen, besaß er die unheimliche Gabe, mich genau dann zu kontaktieren, um mir vorzuschlagen, über etwas zu schreiben, als genau diese Idee in meinen Gedanken Form anzunehmen begann", erinnert sich der US-amerikanische Publizist und Wissenschaftshistoriker George Dyson in der SZ.
Bei all den gezogenen Hüten in den Nachrufen kann man sich gar nicht mehr vorstellen, dass Frank Schirrmacher auch etliche Widersacher hatte. Nur hier und da klingt Kritik an: Dirk Knipphals erwähnt in der TAZ Schirrmachers "intellektuellen Gestus, der – tut mir leid – stets mindestens so sehr an Macht wie an Aufklärung orientiert war". Und Kurt Kister, Chefredakteur der SZ: "Wenn er wieder mal mit, in meinen Augen, höchst fragwürdigen Ministern, klotzköpfigen Kollegen oder den Seltsamsten unter den Kulturschaffenden gegessen oder debattiert hatte und ich ihn daraufhin mäßig beleidigend befragte, warum er einerseits immer über die schreckliche Gesellschaft klage und andererseits mit Tom Cruise Boot fahre, verzog er das Gesicht, trank eine Cola light und begann ein Gespräch über Gottfried Benn und die nachlassende Poesiefähigkeit von Ärzten."
Ob Frank Schirrmacher wohl die folgende Frage gefallen hätte? "Darf man Gott für eine geglückte Schwalbe danken?" Lucas Wiegelmann stellt sie in der WELT mit Blick auf das WM-Eröffnungspiel in Brasilien dem Moraltheologen Eberhard Schockenhoff, der so antwortet: "Es gibt italienische Filme, in denen Mafiosi nach einem geglückten Auftragsmord die Tatwaffe in der Kirche vor dem Marienalter niederlegen und sich für Gottes Bestand bedanken. So etwas ist natürlich ein Missbrauch des religiösen Dankes." Den Dank des brasilianischen Fußballers wolle er, Schockenhoff, aber "nicht bierernst nehmen". "Hat Gott eingegriffen, als der Elfmeter von Neymar gerade so eben reinging?", fragt Wiegelmann außerdem. Die Antwort des Moraltheologen: "Die Art und Weise, in der Gott die Gebete der Menschen erhört, auch der Spieler auf dem Platz, ist natürlich ihm selbst anheim gestellt. Bei einem Fußballspiel ist ja das Problem, dass auf beiden Seiten fromme Menschen spielen können und Gott damit in eine Zwickmühle gebracht wird."
Mehr zum Thema