Aus den Feuilletons

Wenn wir alle dreizehneinhalb Sekunden digital sind

Durch Technologie geschaffene abstrakte Illustration: eine menschliche Gestalt zeichnet sich hinter einer Struktur aus Zahlen und Lichtpunkten ab.
Gruselige Daten - hier in Form einer menschlichen Gestalt, die sich hinter einer Struktur aus Zahlen und Lichtpunkten abzeichnet.. © imago/Science Photo Library
Von Burkhard Müller-Ullrich · 23.04.2018
Die "Süddeutsche Zeitung" will ihre Leser das Gruseln lehren und wirft 163 Zettabyte in den Raum. So groß nämlich soll die weltweite Datenmenge im Jahr 2025 sein. Gruselig wiederum findet ein Architekturprofessor Fachwerkhäuser - weil die ihn an die NS-Zeit erinnern, schreibt die "FAZ".
Wer Zeitungen nicht nur zur Erbauung und Belehrung liest, sondern auch wegen eines gewissen Nervenkitzels, der ist am besten mit der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG bedient, die es gerade mit den Daten hat. Die Daten bieten ja regelmäßig den höchsten Schauer-Faktor im Feuilleton, denn sie sind nach Auffassung vieler Autoren eine riesige Gefahr für Mensch und Gesellschaft. Ganz besonders gefährlich ist die Tatsache, dass man noch gar nicht genau weiß, worin die Gefahr eigentlich besteht. Auch Adrian Lobe lässt dazu nicht mehr verlauten, als dass irgendetwas möglicherweise gegen die Nutzer verwendet wird.

Zettabyte-Horror in sieben Jahren

Bei 163 Zettabyte ist das natürlich kein Pappenstiel. 163 Zettabyte – und allein bei der Zahl läuft es einem kalt den Rücken runter: So groß soll die weltweite Datenmenge in sieben Jahren sein. Und:
"Eine Person wird durchschnittlich 4800 Mal am Tag mit vernetzten Geräten interagieren."
Ziehen wir vom Tag sechs Schlafstunden ab, in denen nicht interagiert wird, hieße das, das wir vom Aufstehen bis zum Einschlafen alle dreizehneinhalb Sekunden irgendetwas Digitales täten. Zumindest die Behauptung ist echter Grusel-Journalismus.
Im übrigen kreist Lobes Text um das Gedankenspiel, dass Datenschutz wie Umweltschutz zu organisieren sei. Wörtlich heißt es da:
"So wie im Industriezeitalter Abfälle von Produktionsanlagen rücksichtslos in Bäche und Flüsse abgeleitet und Treibhausgase in die Atmosphäre geblasen wurden, werden heute Daten in die Umwelt emittiert, ohne dass man sich über die Langzeitfolgen Gedanken macht."
Der letzte Halbsatz soll wohl vor allen zeigen, dass sich eben doch einer Gedanken macht: nämlich Adrian Lobe in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.

Ist Fachwerk faschistisch?

Eine andere Frage treibt uns seit einer Woche um, die Frage nämlich: Wie faschistisch ist Fachwerk-Architektur? Der Stuttgarter Architekturprofessor Stephan Trüby ereiferte sich in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG (FAZ) über die Wiedererrichtung eines mittelalterlichen Häuserensembles in der Frankfurter Altstadt und sah darin das Werk einer "autoritären, völkischen, geschichtsrevisionistischen Rechten."
Ihm antwortet heute Dankwart Guratzsch in der WELT mit sanfter Ironie und historischen Verweisen, zum Beispiel auf Goethe, der sich seinerzeit zur größten "geschichtsrevisionistischen" Baumaßnahme aller Zeiten bekannt habe, nämlich der Vollendung des Kölner Doms.
Apropos Goethe: ein ähnlicher Streit hatte in Frankfurt schon in den frühen 1950er Jahren um die Rekonstruktion von Goethes im Krieg zerstörtem Geburtshaus getobt. Auch damals gab es Stimmen à la Trüby, die fanden, dass die Frankfurter damit "die Spuren des Nationalsozialismus und damit auch der eigenen Schuld löschen wollten". Aber andere fanden den stilgetreuen Wiederaufbau richtig – und zu ihnen gehörten mit Hermann Hesse, Thornton Wilder und Albert Schweitzer nicht ganz dumpfe oder rechtslastige Leute.

Auch Hitler beschäftigte sich mit Fachwerk

Also nochmal: Wie Nazi sind spitzgiebelige Häuschen im Mittelalter-Stil? Dankwart Guratzsch zitiert dazu eine authentische Quelle:
"Tatsächlich hat sich Adolf Hitler ja höchstpersönlich in seinen Parteitagsreden mit der von ihm sogenannten Mittelalterbauweise beschäftigt. Ihre Anhänger nannte er ‚kulturelle Museumswächter‘, die sich zu einem ‚Angriff gegen das heutige Reich‘ formiert hätten. Es könne aber nicht zugelassen werden, 'die Neuzeit zugunsten des Mittelalters zu vergewaltigen‘."
Ende des Zitats und rasch ein Blick in die FRANKFURTER ALLGEMEINE, wo Paul Ingendaay an die baskische Terrorbande Eta erinnert, die ihre Selbstauflösung für den 5. Mai angekündigt hat. Mehr als 800 Morde in vier Jahrzehnten gehen auf ihr Konto, doch gebracht habe das alles – so Ingendaay – "nichts, wirklich nichts außer Schmerz und Zerstörung. – 'Politische‘ Ziele? Die baskische Autonomie ist heute im Wesentlichen das, was sie seit 1978 war."
Und weiter schreibt der Autor: "Vor fünfzehn Jahren allerdings fanden deutsche Medien nichts dabei, höflich von einer "Separatistenorganisation" zu sprechen."
Zu weiteren Aufklärung gibt Ingendaay eine Lektüreempfehlung: den Roman "Patria" des baskischen Schriftstellers Fernando Aramburu.
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