Aus den Feuilletons

Wie sich Politiker mit leeren Rhetoriken überbieten

CSU-Chef Horst Seehofer auf dem Parteitag der CDU in Karlsruhe.
CSU-Chef Horst Seehofer auf dem Parteitag der CDU in Karlsruhe. © picture alliance / dpa / Michael Kappeler
Von Adelheid Wedel · 10.01.2016
Der Soziologe Hans-Georg Soeffner relativiert in der "FAZ" die Panik vor zu vielen Flüchtlingen: Bereits seit lebten 10,7 Millionen Einwanderer aus 194 Ländern in Deutschland. Insofern sei der aktuelle Flüchtlingsstrom "zwar sehr stark, aber nicht außergewöhnlich".
"Es gilt, die Chimäre völkisch, religiös oder ideologisch eingefärbter Leitkulturen gründlich zu entsorgen." Diese Empfehlung gibt Hans-Georg Soeffner in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Der Autor lehrte bis zu seiner Emeritierung Soziologie an der Universität Konstanz.
Eine seiner Thesen, die er in diesem längeren Artikel entwickelt, heißt: "Eine offene Gesellschaft kann gar keine Mitte haben und braucht deswegen auch keine nationale Gesinnungslehre." Es schließt sich die Frage an: "Aber was dann?" Soeffner relativiert die Panik vor zu vielen Flüchtlingen mit Zahlen und verweist auf die unterschiedlichen Flüchtlingsbewegungen in Deutschland seit 1945, die sich zusammensetzen aus Arbeits- und Armutsmigration, Aus- und Rückwanderung, aus politischer Asylsuche und gezielter Anwerbung von Fachkräften:
"Heute ist jeder achte Einwohner Deutschlands im Ausland geboren. Schon 2013 lebten 10,7 Millionen Einwanderer aus 194 Ländern in Deutschland. Insofern ist der Flüchtlingsstrom, den wir gegenwärtig erleben, zwar sehr stark, aber nicht so außergewöhnlich, wie er dargestellt wird."
Die Ursache für die gegenwärtig aufgeheizte Stimmung sieht er in "einem gefährlichen Gemisch aus medialer Dramatisierung einerseits und einer verhängnisvollen politischen Entscheidungs- und Organisationunfähigkeit andererseits, die sich hinter parteipolitischem Gezänk und den damit verbundenen, inhaltlich leeren Überbietungsrhetoriken verbirgt. Das Krisenbewältigungschaos ist ein wesentlicher Teil der Krise" – so seine Analyse, die weitere Merksätze bereithält, nachzulesen in der FAZ.
Scholz will Regeln für Einwanderer verschärfen
Im Forum der Tageszeitung DIE WELT kommt der stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, Olaf Scholz, zu Wort. Der Erste Bürgermeister von Hamburg plädiert dafür, "die Regeln der Sozialleistungen für Einwanderer zu verschärfen". Gleichzeitig tritt er dafür ein, Europas Freizügigkeit zu erhalten.
"Der Wegfall der Grenzkontrollen und die Freizügigkeit haben, wie die gemeinsame Währung, die Entfaltungsmöglichkeiten unzähliger Europäerinnen und Europäer sowie fast aller europäischer Unternehmen verbessert."
Er macht darauf aufmerksam: "Gleichwohl funktioniert die Arbeitsmigration innerhalb der USA so viel reibungsloser als in Europa."
Scholz nennt den nach seiner Meinung entscheidenden Unterschied: "In den USA gibt es einheitliche Regeln für die Sozialhilfe. In Europa ist das anders." Daraus folgt sein dringender Rat: "Die Europäische Union muss das Dilemma lösen, das sich aus den im Vergleich zu den USA unter-schiedlichen Sozialstaat-Niveaus innerhalb der EU ergibt." Der SPD-Politiker entwickelt in seinem Artikel in der WELT praktische Ideen dafür.
"Auf die Stimmen säkularer Muslime hören"
"Es wird Zeit, auf die Stimmen säkularer Muslime zu hören", fordert Caroline Fetscher im TAGESSPIEGEL im Zusammenhang mit den Ereignissen in Köln und der Integrationsdebatte. Die säkularen, aufgeklärten muslimischen Stimmen, die Kritik an ihren eigenen patriarchalisch festgefahrenen Gesellschaften formulieren, werden wenig, bis gar nicht diskutiert. "Dabei sind sie die relevantesten", meint die Autorin und zählt einige davon auf, von Hamed Abdel Samad bis Necla Kelek.
Die von ihnen beschriebenen Defizite würden in Europa häufig mit einem nachsichtigen Die-sind-eben-noch-nicht-so-weit kommentiert. Aktuelle Barbarei wird mit historischer verglichen, damit bagatellisiert und zugleich relativiert. Fetscher verurteilt solches Herangehen als "überheblich, apolitisch und verfehlt". Da werde ein Gegensatz zwischen "wir" und "die" konstruiert. Dem setzt die Autorin entgegen:
"Mitglieder autoritär-patriarchal strukturierter Gesellschaften und Zuwanderer, die aus solchen kommen, sind wie 'wir' Bürgerinnen und Bürger einer Staatengemeinschaft, die sich mit der Charta der Vereinten Nationen ein gemeinsames Fundament gegeben hat. Das ist der universelle, im Sinne emanzipatorischer Politik zu verteidigende Maßstab."
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