Aus den Feuilletons

Wie man Geschichte macht

Orban steht im Dunkeln in Freien hinter zwei Mikrofonen und winkte mit erhobener Hand. Daneben zwei Frauen und drei Männer.
Viktor Orbans Beliebtheit in Ungarn könne an dessen klarer und undiplomatischer Sprache liegen, analsysiert die FAZ. © AFP / ATTILA KISBENEDEK
Von Hans von Trotha · 17.04.2018
Warum Viktor Orbán in Ungarn so populär ist, erklärt die "FAZ". Sprache spielt dabei ein wichtige Rolle. Auch der Niedergang der Linken habe mit Sprache zu tun, analysieren die "Welt" und die "NZZ". Die Schweizer Zeitung erkennt zudem eine erstaunliche Nähe von Linken und Rechten.
"Warum ist Viktor Orbán in Ungarn so beliebt?",
fragt Wolfgang Sandner in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und mutmaßt: "Vielleicht wegen seiner klaren Aussprache. Über deutsche Eiertänze schüttelt man nur den Kopf."
Nur zur Orientierung: "Klare Aussprache", das ist eher rechts, "Eiertanz" links. - Oder?
"Orbáns deftige Sprache", meint Sandner, "die Dinge beim Namen nennt, aber oft nicht gerade diplomatisch erscheint, wenn er beispielsweise von `moralischem Imperialismus´ mancher westlicher Politiker gegenüber östlichen Ländern spricht, wäre eine eigene Studie wert."

Vorbild USA

Das Feuilleton der WELT versteht sich bisweilen als ein Ort, wo an solchen Studien gearbeitet wird. Dabei ist eine Tendenz zur etymologischen Argumentation zu beobachten. Scheinbar arglos lässt man den Kulturteil in die Geschichte der Wörter blicken. Da lässt sich manches finden. Das wahre Ende der Linken, zum Beispiel. Na also!
"Die Erfindung der Diskriminierung" heißt Mathias Heines aktuelle so genannte "Wort-schichte", deren Kurzfassung lautet:
"Nach 1989 formierte sich die Linke als Internationale der Diskriminierten neu. Seit dem Ende des Ostblockkommunismus", schreibt Heine, "und der Marginalisierung der Arbeiterklasse in den angeblich `postindustriellen´ Gesellschaften hat die Linke die alte marxistische Klassenkampfrhetorik verabschiedet. Neu erfunden hat sie sich als Internationale der Diskriminierten und der sich diskriminiert Fühlenden. Die ganze Antidiskriminierungsagenda", wie Heine es nennt, ist seiner etymologischen Analyse nach "inspiriert von den USA, deren Universitäten" – alle mal herhören! – "für die neue Linke ähnliche Stichwortfabriken sind, wie es Moskau und Peking für die alte waren."
Bumm. Das sitzt. Oder doch nicht? Egal.

Vom Gegner lernen

"Das Sichdiskriminiertfühlen überwindet alle sonstigen Gegensätze und schafft Gemeinsam-keit", schreibt Heine außerdem. "Diesen anheimelnden Effekt neiden der Linken längst die ums andere politische Lagerfeuer Versammelten. Die Rechten haben mit Begriffen wie ‚Christianophobie‘ oder ‚Deutschenhass‘ ihre eigene Antidiskriminierungsagenda geschaffen. Es ist nicht die erste Taktik im Kampf um kulturelle Hegemonie, die sie vom Gegner übernehmen."
Anspruchsvoller argumentiert Albrecht Koschorke in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Auch er fängt etymologisch an. Auch er geht von der Vorsilbe "post" aus – wie Heine in der Rede von "angeblich `postindustriellen´ Gesellschaften"- Und auch bei ihm springt die Linke über die Klinge:
"Die Linke hat sich selbst dekonstruiert", konstatiert er. "Das Postfaktische und das Postmoderne gehören zusammen: Wenn alles gleich ist, dann ist auch alles erlaubt."

Die Nähe von links und rechts

"Vom ‚postfaktischen Zeitalter‘ zu sprechen", meint Koschorke, "verrät geschichts-philosophische Ambition. In Wahrheit handel(e) es sich jedoch um eine Verlegenheitsformel. Wie in anderen Fällen stellt die Vorliebe für ‚post‘ ein Symptom dessen dar, dass unsere Gegenwart nicht recht weiss, woran sie mit sich ist. Das Dilemma, sich primär negativ auf seinen eigenen historischen Ort zu beziehen, teilt das ‚postfaktische Zeitalter‘" nach Koschorke "mit der Postmoderne", schreibt er.
"Zwar könnten ihre kulturellen Trägermilieus kaum unterschiedlicher sein. Auch politisch streben sie in entgegengesetzte Richtungen: dort ein buntes Spektrum von Postmarxisten, Feministinnen, sprachspielerischen Ironikern oder Dekonstrukteuren; hier eine Sammlungsbewegung von Ethnonationalisten, Identitären und neoautoritären Verächtern demokratischer Spielregeln. Trotzdem stellt sich zuweilen der Eindruck einer unbehaglichen Nähe zwischen den beiden epocheprägenden Richtungen her."

Wie man mit Kritik umgeht

Koschorke stellt "bisher gern umgangene Fragen: Wie verteidigt man die Institutionen, innerhalb deren Machtkritik praktiziert werden kann? Auf welcher normativen Grundlage kann dies geschehen? Und: Wie lässt sich die Einsicht in die historisch-kulturelle Gebundenheit von Realität gegen ihren Missbrauch durch politische Hardliner absichern? Auf diese Fragen", so Albrecht Koschorke, "muss die akademische Linke ihre Antwort noch finden."
Darauf kann das Feuilleton der WELT dann wieder etymologisch reagieren. Und Viktor Orbàn wird auch das, sollte er je davon erfahren, in eine ganz einfache Formel kriegen. Aber wahrscheinlich ist es für ihn und die Seinen eh bloß "Eiertanz".
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