Aus den Feuilletons

"Wer kämpft, lächelt nicht"

Links im Bild die Musikerin Maria Aljochina, rechts Nadeschda Tolokonnikowa von der russischen Band Pussy Riot, vor ihnen ein Mikrofon von Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur
Maria Aljochina (l.) und Nadeschda Tolokonnikowa von der russischen Band Pussy Riot im Rahmen der Gala "Cinema for Peace" in Berlin © picture alliance / dpa / Paul Zinken
Von Hans von Trotha · 11.02.2014
Die Kulturpresseschau beschäftigt sich unter anderem mit dem Pussy-Riot-Besuch bei der Berlinale, mit dem Tod der Schauspielerin Shirley Temple und mit einer App, die Lebenszeichen verschickt.
"Wer kämpft, lächelt nicht", titelt die SÜDDEUTSCHE. Es geht um Nadja und Mascha, die, wie es weiter heißt, "Ikonen der Protestband Pussy Riot". "Bei der Berlinale", lesen wir, "wurden sie als Stargäste gefeiert". Und sie haben nicht gelächelt. Tim Nedithov kommentiert: "Wenn es einen Gott der Öffentlichkeit gibt, dann sind die Fotografen seine Priester. Der rote Teppich darf ruhig blau sein, aber Lächeln gehört zu den Sakramenten. Nadja und Mascha aber marschieren einfach vorbei an den Kameras, mit einem Gesichtsausdruck, als würden sie in einen überfüllten Bus steigen." Und Nedithov berichtet noch eine kleine garstige Szene am Rand: "'Smile!' röchelt ein Fotograf von seinem Stühlchen. 'Ach, geht dann halt nach Russland zurück.'" Immer schön lächeln. Den "Tribut an den Gott der Öffentlichkeit" nennt das Nedhitov. Hierzulande kann man dessen Varianten und Vollendungsgrade wohl nie eingehender studieren als in den zehn Berlinale-Tagen.
Dieter Bartetzko zitiert in der FAZ einen anderen Fall von Lächeln. US- Präsident Franklin D. Roosevelt hat einmal einer berühmten Amerikanerin dafür gedankt, "dass sie Amerika mit einem Lächeln durch die Depression führt". Shirley Temple war für Willi Winkler in der SÜDDEUTSCHEN "das Süßeste, das vor Schweinchen Babe in Hollywood erfunden wurde". Die FAZ fasst ihr Leben sehr pragmatisch bündig zusammen: "Shirley Temple war Amerikas unglaublich professioneller, angebeteter Kinderstar. Dann wurde sie erfolgreiche Diplomatin. Jetzt ist sie gestorben."
Ja, der Tod gehört zum Leben, ist man da versucht zu denken - und stolpert in der SÜDDEUTSCHEN über den Satz: "Thomas Bernhard lebt". Dabei weiß jeder über 45, der Thomas-Bernhard- und Filmfan ist, dass der große österreichische Schriftsteller während der Berlinale gestorben ist. Vor 25 Jahren, wie den Feuilletons zu entnehmen ist. Kein Literaturredakteur gedenkt seiner, sondern zum Beispiel der Verleger Jochen Jung, der sich erinnert, wie er sich einmal "hocherfreut neben Thomas Bernhardsitzend und von dessenKonversationscharme deutlich animiert, dazu hinreißen ließ zu sagen:'Herr Bernhard, ich gebe zu, ich habe Siesehr gern.' Woraufhin er, nach einer kleinenPause, die ausreichte, mir klarzumachen, dass ich da vermutlich einen halbenSchritt zu weit gegangen war, mich unverändertcharmant von der Seite ansah undsagte: 'So. Und worüber reden wir jetzt?'"
Ebenfalls in derSÜDDEUTSCHENrezensiert Kathleen Hildebrandt einen Roman von Alexander Schimmelbusch, in dem ein Erzähler namens Alexander Schimmelbusch erzählt, dass Thomas Bernhard gar nicht gestorben ist damals während der Berlinale, sondern weiter lebt und schreibt. Und in derWELT wandelt der in Wien lebende Autor Joachim Lottmann auf Bernhards Spuren. Sein Fazit: "In Wien leben die Gegenstände einfach länger. Und mit ihnen die Erinnerung. Und so gibt es ihn weiter, den Thomas Bernhard in Wien, sogar ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod."
Meist ist der Tod als Gegenstand künstlerischer Verarbeitung oder als Anlass eines Nachrufs in den Feuilletons präsent. Die TAZ widmet sich unter der Überschrift "Makaber, aber effizient" einer erschütternd pointierten Form, in der er nun Einzug in die Welt der Social Media hält. Juliane Metzker berichtet: "Mit nur einem Klick verschickt eine neue App Lebenszeichen. Sie soll Familie und Freunden nach Bombenanschlägen im Libanon schneller Gewissheit verschaffen"."Die Bedienung", so Metzker, "ist simpel. Mit einem Klick twittert die App eine standardisierte Nachricht 'Ich bin noch am Leben! #Lebanon #LatestBombing'. Tippen muss man dazu nicht, nur auf den Button drücken. Auf Twitter erscheint dann eine konkrete Liste aller User, die ein Lebenszeichen gesendet haben."
Die App ist das Werk einer jungen Studentin, die aus dem Libanon stammt. Sie sagt: "Es ist schrecklich, dass ein solches Tool nützlich sein kann!" Und sie geht noch weiter, so die TAZ: "Mit zwei Bloggern tüftelt sie an einer App, die es libanesischen Politikern einfacher machen will, Attentate öffentlich zu verurteilen." Die Studentin dazu: "Unsere Politiker reagieren sehr routiniert und gefühlskalt auf Bomben. Es sind immer dieselben Phrasen. Wir werden Standard-Statements in einer App listen, die unsere Staatsmänner per Klick versenden können".
So viel Pragmatismus angesichts von jahrelangem Leid, gepaart mit so viel technisch programmiertem Witz macht sprachlos – vor Entsetzen, aber auch vor Bewunderung.