Aus den Feuilletons

Wenn das Ergebnis "Nein" lautet?

Auf dem Bild ist ein Plakat mit türkischer Schrift zu sehen.
Ein Nein-Plakat für das Verfassungsreferendum in der Türkei © Deutschlandradio / Sabine Adler
Von Arno Orzessek · 15.04.2017
Sollten die türkischen Bürger heute mit "Nein" abstimmen, werde das Land eine Vollbremsung machen - kurz bevor es auf eine Diktatur zugerast wäre. Wie könnte der Steuermann Erdogan reagieren, wenn er aus seiner Position geschleudert wird? Das fragt sich Can Dündar in der "Zeit".
"Seit Wochen habe ich Albträume", heißt es in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
"Keine Ungeheuer, keine Kannibalen, auch kein freier Fall in die Tiefe, sondern eine Passkontrolle in der Türkei mit anschließender Verhaftung meines zweijährigen Sohnes, der danach in Isolationshaft verwahrt und vom türkischen Staatspräsidenten […] als Putschist, als Fethullah-Gülen-Anhänger oder als PKK-Mitglied oder kurdischer Spion vorverurteilt wird", so der Schriftsteller Moritz Rinke, Vater eines Sohnes mit deutschem und türkischem Pass, in der SZ.
Im Weiteren schilderte Rinke seine Versuche, noch vor dem Referendum an diesem Sonntag den türkischen Pass seines Sohnes im Konsulat abzugeben – und wie er es dann doch nicht übers Herz brachte, weil man ja nie weiß.
Viel wird in den Feuilletons darüber spekuliert, wie die Türkei nach dem Referendum aussehen wird.

Vollbremsung vor der Diktatur

In der Wochenzeitung DIE ZEIT fragte Can Dündar, der Chefredakteur einer türkischsprachigen Internetplattform:
"Was [geschieht], wenn das Ergebnis 'Nein' lautet? Dann wird eine Vollbremsung das auf die Diktatur zurasende Land erschüttern. Als Ersten wird es den Mann am Steuer herausschleudern. Seine Gegner werden jubeln, er aber wird den vorbereiteten Text aufsagen: 'Wir waren zum Wohlstand unterwegs, sie haben uns gestoppt.' Dann wird er alles nur Mögliche tun, um den für ihn negativen Verlauf ins Gegenteil zu verkehren. […] Es gibt Wendepunkte, an denen sich das Schicksal ändert, das von Menschen ebenso wie das eines Landes. Am Sonntag, dem 16. April, wird die Türkei an einem solchen Punkt stehen und den nahenden Bus erwarten."
Can Dündar in der ZEIT – einer von vielen Türken, die sich in den Feuilletons voller Pathos und in sehr bildreicher Sprache zum Referendum äußerten.

Was wäre der bessere Wahlzettel?

Die TAGESZEITUNG fand unterdessen die Wahlmöglichkeiten beim Referendum - "Evet" oder "Hayir", "Ja" oder "Nein" - allzu spärlich.
"Kein Wunder, dass das Land gespalten wirkt. Es gäbe doch so viele weitere Antworten",
hieß es unter der Überschrift "Der bessere Wahlzettel".

Oder lieber Bier?

Einen solchen hatte die TAZ nämlich entworfen – ganzseitig und zweisprachig – und sich eine Reihe sinnvoller zusätzlichere Antworten ausgedacht. Hier eine Auswahl:
"Ja oder nein, Erdogan macht doch eh schon, was er will.”
"Geh bügeln, Tayyip."
"#FreeDeniz [Yücel]”
"Ich kann mich nicht entscheiden."
Und schließlich: "Gebt mir ein Bier."
Kaum nötig zu sagen, dass die Erdogan-kritische TAZ ein bisschen Spannung abbauen wollte vor dem Referendum, das an dem Sonntag stattfindet, an dem die Christenheit gern ostereiersuchend Ostern feiert.

Die Konsumkultur auf dem Vormarsch

Und das führt in England zu üblem Streit, wie die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG unter dem Titel "Osterdebakel" berichtete.
Die Firma Cadbury hatte es schon kurz nach Weihnachten gewagt, ihren Konfekt nicht als Osterei, sondern als Schokoladenei zu vertreiben, was laut der FAZ-Autorin Gina Thomas "als weiteres Zeichen für den Vormarsch der Konsumkultur" gewertet worden war.
Aber jetzt kommt's!
Denn nun hat der Süßwarenhersteller, der laut Thomas "einst für britische Tradition stand, inzwischen jedoch in amerikanischer Hand ist, frischen Zorn auf sich geladen".
Es wurde doch tatsächlich der altehrwürdige "Ostereierpfad", eine Veranstaltung, die der Schlecker-Sachen-Produzent Cadbury gemeinsam mit der Denkmalschutzorganisation National Trust gestaltet – Hundertausende Ostereiersucher nehmen eifrig daran teil - der "Ostereierpfad" also wurde aus Marketing-Gründen in "Cadbury Eiersuche" umbenannt.
"Das [so Gina Thomas] trug dem National Trust seitens der anglikanischen Kirche eine Rüge ein, den christlichen Glauben aus seinen Osterfeierlichkeiten 'wegretuschieren' zu wollen. Der Erzbischof von York schimpfte, dass die Entfernung des Wortes Ostern damit vergleichbar sei, wenn man auf das Grab des Firmengründers John Cadbury, eines frommen Quäkers, spuckte. Theresa May stimmte […] in den Chor der Empörung ein: Die aus einer Pfarrerfamilie stammende Premierministerin, die Mitglied des National Trusts ist, nannte das Vorgehen 'völlig absurd'."
Wir sagen: Hey, das ist mal ein amtlicher britischer Konflikt – is'nt it?

Immer wieder das Diskurs-Ungeheuer Trump

Natürlich befassten sich die Feuilletons auch in der vergangenen Woche wieder mit dem Diskurs-Ungeheuer Donald Trump.
Wie groß die Überraschung immer noch ist, dass dieser Mann jetzt das Weiße Haus bewohnt, bewies ein Interview in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG.
Auf die Frage "Hatten Sie erwartet, dass Trump das Rennen macht?" antwortete die kamerunisch-amerikanische Schriftstellerin Imbolo Mbue mit vier entschiedenen Worten:
"Nein! Nein, nein, nein."
Im weiteren äußerte Mbue jene Sorge, die in diesen Tagen wie ein Refrain zu hören ist:
"Ich habe Angst um den Amerikanischen Traum – er schwindet, er ist in Gefahr. Ich selbst hatte Glück, für mich ist Amerika ein großartiges Land. Aber auch großartige Länder können in die Irre gehen oder sich selbst verlieren."
Wer komprimiert erfahren will, was amerikanische Schriftsteller und Intellektuelle von der Lage der Nation in den Zeiten Trumps halten, schlage den neuen SPIEGEL auf, der unter anderen John Grisham und Timothy Snyder besucht hat.
Tom Wolfe indessen, der einst in seinem berühmtesten Roman das "Fegefeuer der Eitelkeiten" schürte, sagte dem SPIEGEL, was er schon oft gesagt hat: "Ich bin nicht politisch. War ich nie. Politisch werde ich erst, wenn die Hunnen zwei Blocks entfernt stehen."
Im Silicon Valley fürchtet man nicht die Hunnen, sondern die Machtergreifung der Künstlichen Intelligenz.
Wie die FAZ unter dem Titel "Schöne neue Welt, deine Schöpfer trauen dir nicht" berichtete, kaufen sich derzeit gestandene Internet-Milliarde "Stromgeneratoren, Munition, Bunker und ganze Inseln".
Klingt nicht gut, aber sei's drum!
Wir verabschieden uns für heute "Vom blutroten Teppich der Weltgeschichte", um es mit einer Überschrift der WELT zu formulieren, und wünschen Ihnen, liebe Hörer: Frohe Ostern!
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