Aus den Feuilletons

"Welcome to Germany, welcome to my country"

Ein Flüchtlingskind sitzt in Berlin auf dem Gelände des Landesamtes für Gesundheit und Soziales auf einem Grünstreifen.
Ein Flüchtlingskind sitzt in Berlin auf dem Gelände des Landesamtes für Gesundheit und Soziales auf einem Grünstreifen. © pa/dpa/Zinken
Von Klaus Pokatzky · 15.08.2015
Debatten um Flüchtlinge haben die Feuilletons bestimmt. Dabei gab es Hoffnung. So schreibt der "Berliner Tagesspiegel" über die Stimmung in sozialen Medien: "Viele Facebook-Mitglieder wollen den Pegida-Bewegungen nicht das Feld überlassen."
"Ich bin ein Musikliebhaber, aber kein Musikwissenschafter."
Das stand natürlich in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG – sonst hätte es "Musikwissenschaftler" geheißen.
"Dass ich keine Noten lesen kann, ist ein offenkundiges Problem",
outete sich der niederländische Schriftsteller Cees Nooteboom.
"Man fühlt sich gehemmt, zurückversetzt und nie ganz zugehörig. Man fürchtet stets, nicht zu hören, was andere ganz selbstverständlich wahrnehmen."
Das kenne ich. Und damit zum Ernst des Lebens.
"Wir haben eine Pflicht, uns um Flüchtlinge zu kümmern"
"Der Dirigent Daniel Barenboim", teilte uns die BERLINER ZEITUNG mit,
"könnte sich eine Aufnahme von Flüchtlingen bei sich zu Hause vorstellen."
Das erklärte der Leiter des West-Eastern Divan Orchestra in einem Interview.
"Wir haben ein besseres Lebensniveau und eine Pflicht, uns um Flüchtlinge zu kümmern",
sagte er der Bild-Zeitung.
"Menschen, die das nicht sehen und erkennen, sind eine Gefahr für unsere Gesellschaft."
Kein Thema zieht sich durch die Feuilletons der vergangenen Woche so sehr wie dieses.
"Christsein endet nicht nach Dienstschluss"
"Meine Eltern sind hauptberufliche Katholiken",
war in CHRIST UND WELT zu lesen.
"Meine Mutter leitet eine Eheberatungsstelle, mein Vater ist Theologieprofessor",
schrieb Anna Papathanasiou.
"Ihr Christsein endet nicht nach Dienstschluss."
Und deshalb beherbergen sie seit 25 Jahren in ihrem Haus Flüchtlinge:
"Willkommen heißt für meine Eltern Gastfreundschaft, in ihrem eigenen Haus. Egal, wer kommt."
Daniel Barenboim kann sich von ihnen bestens beraten lassen.
"In allerschönster Lage mit eigenem Badeplatz"
"Ein Flüchtlingsheim zwischen den Villen und Sommerhäusern",
wird in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG beschrieben, im Dorf Ambach, am Ostufer des Starnberger Sees.
"In allerschönster Lage mit eigenem Badeplatz"
sind dort in einem alten Schullandheim Teenager untergebracht, die
"ohne erwachsene Begleitung, aus Syrien, vom Balkan oder aus Nordafrika kommend",
im schönen Bayern landeten, dessen Staatspartei CSU nicht gerade für flüchtlingsfreundliche Sprüche bekannt ist. Doch was schert das den Ambacher und die Ambacherin?
"Einmal gab es einen Aufruf, man möge Fahrräder spenden für die Jungs, und wer drei Tage später anrief, bekam zu hören, dass inzwischen doppelt so viele Fahrräder wie Flüchtlinge herumstünden",
schreibt Claudius Seidl.
"Auch Rollschuhe und Skateboards haben die Jungs jetzt, sehr gute Shorts und T-Shirts sowieso."
"Welcome to Germany, welcome to my country"
Was würde der ZDF-Moderator Claus Kleber zu dieser schönen Geschichte wohl sagen?
"Claus Kleber weint. Fast",
stand in der Tageszeitung TAZ.
"Ein Kloß steckt im Hals, die Augen sind feucht, die Stimme bricht",
schrieb Paul Wrusch, nachdem der ZDF-Moderator im "heute-Journal" von einem Linienbus-Fahrer in Erlangen erzählt hatte, der 15 Asylbewerber in ein Schwimmbad beförderte. Der griff zum Mikrofon und sprach sein ganz persönliches Willkommen, das wir gerne in jeder Politikerrede wiederhören würden:
"I have an important message for all people from the whole world in this bus. I want to say welcome. Welcome to Germany, welcome to my country. Have a nice day."
Das ging am Mittwochabend über das ZDF, wenige Stunden später schlugen die zu, die solche Sätze nicht auf Deutsch und nicht auf Englisch verstehen – und nicht einmal dann, wenn man sie ihnen vortanzen würde.
"Die Letzten, die dort diesen Kampf wagen"
"In der Nacht zum Donnerstag brannte die Scheune des alten Forsthauses in Jamel vollständig nieder",
stand in der TAZ.
"Sie gehört Birgit und Horst Lohmeyer, einem Künstlerehepaar, das seit Jahren in der kleinen mecklenburg-vorpommernschen Gemeinde gegen Rechtsextremismus kämpft. Sie sind die Letzten, die dort diesen Kampf wagen",
schrieb Andreas Speit.
"Die Polizei glaubt an Brandstiftung, der Staatsschutz ermittelt."
Und andere zündeln mit Worten – am liebsten da, wo es gar nichts kostet: wie im Falle der Schauspielerin Friederike Kempter, die im Juni auf ihrer Facebook-Seite auf den Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen aufmerksam machte.
Friederike Kempter vs. Til Schweiger
"In der nächsten halben Stunde war auf ihrer Seite die Hölle los",
erfahren wir aus der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG.
"Menschen, die nie zuvor auf ihrer Seite aktiv gewesen waren, die diese auch nie geliked hatten und ihre Beiträge also nicht automatisch sahen, kommentierten unangenehm, böse und den üblichen Reflexen verfallend."
Nach einer Stunde löschte die Schauspielerin ihren Beitrag wieder.
"Til Schweiger löscht sie nicht",
schreibt Johanna Adorján und schildert den Facebook-Kampf des Schauspielers gegen digitale Rassisten und für die Flüchtlinge.
"Er möchte ein Flüchtlingsheim bauen lassen beziehungsweise, um genau zu sein, mit einer Stiftung dafür sorgen, dass dort dann bessere Bedingungen herrschen als sonst üblich, er möchte helfen, er möchte sich einbringen."
"Den Pegida-Bewegungen nicht das Feld überlassen"
Nicht jeder hält das durch, manch einer zieht sich aus dem Netz zurück, wenn er und seine Familie von Nazis bedroht werden; auch davon war in den Feuilletons zu lesen. Aber:
"Gibt man in Facebook das Stichwort 'Flüchtling' ein, öffnet sich eine lange Trefferliste – doch anders als vielleicht vermutet vor allem im positiven Sinne",
bilanzierte der BERLINER TAGESSPIEGEL.
"Viele Facebook-Mitglieder wollen den Pegida-Bewegungen nicht das Feld überlassen",
so Kurt Sagatz,
"und setzen mit ihren Gemeinschaftsseiten ein Zeichen gegen Islam-Hasser und Flüchtlingshetzer."
Ein fast 200 Jahre altes Zeichen präsentierte uns CHRIST UND WELT, die Beilage der Wochenzeitung DIE ZEIT, mit den "Ersten preußischen Bosniaken", einer Kreidelithografie aus dem 19. Jahrhundert, die bosnische Lanzenreiter zeigt, die 1745 in den Dienst der preußischen Armee getreten waren. Ganz nüchtern dazu der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide:
"Dass muslimische Soldaten Teil der Armee von Friedrich dem Großen waren, bezeugt, dass Muslime schon lange vor der Arbeitermigration im 20. Jahrhundert Teil der deutschen Geschichte waren."
Ob Rassisten wenigstens Bilder verstehen?
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