Aus den Feuilletons

Was zu Deutschland gehört

Ein fiktiver Dialog mit dem Satz "Läuft bei dir" ist auf einem Smartphone-Display in dem Messenger WhatsApp zu sehen.
Die Veränderung von Sprache entdeckt man in Zeitgeist-Magazinen, analysiert die "SZ" © picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte
Von Hans von Trotha · 20.03.2018
Die "taz" fragt, warum eine christliche Minderheit die Gesetze in Deutschland beeinflussen darf. Die "FAZ" stellt fest, dass dickes Design besonders angesagt ist. Gleich mehrere Zeitungen beschäftigt Sprache und Symbole im Wandel der Zeit.
"Das Christentum gehört nicht zu Deutschland", behauptet Juri Sternburg in der taz. Sein Argument:
"Weniger als drei Millionen Katholiken gehen regelmäßig zum Gottesdienst. Das sind ungefähr 4 Prozent der Bevölkerung. Bedeutet: In Deutschland gibt es mehr offene Antisemiten als praktizierende Katholiken. Surprise! Schätzungen zufolge sind außerdem nur etwa 15 Prozent der Deutschen bewusst mit der Kirche verbunden. Bedeutet wiederum: In diesem Land glauben mehr Menschen dass die USA hinter 9/11 stecken (23 Prozent nämlich), als an die Institutionen der Christenheit. Wollen wir", fragt Sternburg, "dieser Minderheit etwa erlauben unser Land zu verändern?" und ruft: "Horst, übernehmen Sie!"
Das soll natürlich provozieren. Wenden wir uns unverfänglicheren Themen zu.

Ersatz für geniale Toilettensymbole

In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG lesen wir zum Beispiel:
"Die Geschichte der nach Geschlechtern sortierten Toiletten ist gut erforscht." Das ist beruhigend – wenn auch hinfällig, denn wenn Niklas Maak in der FAZ "Die Zeichen der Zeit" richtig deutet, dann hat es sich bald mit getrennten Toiletten. Wobei Maak vor allem die Zeichen interessieren:
"Eines der bekanntesten und weltweit erfolgreichsten Symbole ist das für öffentliche Herren- und Damen-Toiletten. Es ist insofern ein erstaunliches Symbol", findet Maak, "als es das, was es eigentlich bezeichnete – die öffentliche Toilette –, gar nicht zeigt. Mann und Frau reichen, um weltweit zu verstehen, dass sich hier ein existentieller Ort der Notdurft befindet. Es wird aber", so Maak, "nicht mehr lange dauern, da wird man diese weltweit durchgesetzten Symbole für Herren- und Damenklo als Beschreibung einer abgeschlossenen historischen Phase lesen, in der nur Männer Hosen und Frauen meistens Röcke trugen."
Maak berichtet, dass "in Amerika Designer damit beauftragt werden, ein neues, geschlechtsneutrales Piktogramm für 'alle Menschen' zu erfinden. Aber", fragt er, "wie entwirft man etwas, das nach Mensch an sich aussieht?" – Er findet, das Ergebnis "erinnert an ein kleines, dickes ì. So", stellt er fest, "sieht, zum Symbol geronnen, das reine Menschsein aus: ein Gewicht mit einem Kopf drauf."

Dickes Design ist modern

Das passt zu Hannelore Schlaffers Befund in derselben FAZ, das alles immer dicker wird. Doch es wäre kein Hannelore-Schlaffer-Befund, ginge er nicht weit über sich selbst hinaus, nämlich: "Alles wird immer dicker. Und die praktische Vernunft kommt an ihre Grenzen".
Was ist da los?
"Immer dicker", stellt Schlaffer fest, "werden nicht nur die Menschen, dicker wird auch die Welt, die sie sich einrichten." Und sie wird konkret:
"Dicker, schwerer, plumper sind in den vergangenen Jahren geworden: Füller und Kugelschreiber, Kaffeetassen, Tischplatten, Polstermöbel, die Koffer der Reisenden und die Schultaschen der Kinder, die SUV-Panzer und schließlich sogar die Bücher. Das Wachstum all dieser Objekte", erläutert Frau Schlaffer, "hat nichts mit dem Gebrauchswert dieser Sachen zu tun. Der Geist des Menschen verfügt eben über ein surplus, mit dem er die Praxis über allen Gebrauchswert hinaus gestaltet, interpretiert, verlängert, vergrößert."
"Dieses Vermögen", jetzt kommt´s, "überschreitet den Bereich der praktischen Vernunft und gehört in jenen der Ästhetik. Für den Schöpfer der dicken Dinge selbst also wird Dicksein zwar als Gesundheitsproblem unentwegt thematisiert; die Dinge aber, die er sich erschafft, unterliegen den Fragen seines Geschmacks, und an seinen Kreationen wird offenbar: Dick gefällt ihm. Die Dinge, die in die Breite gehen, sind ein Spiegel seiner Erscheinung, sie werfen einen Anblick zurück, der sein Wohlbefinden bestärkt."

Sprache im Wandel

Als Alternative zum Dicksein bietet sich dem, der sich partout wohlfühlen möchte, "hygge" an. Max Scharnigg bringt uns in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG das just etablierte Zentralorgan der "Generation `Hygge´" nahe.
"Cosy heißt das neue und junge Lifestylemagazin aus der Funke-Mediengruppe. Unterzeile: Wohnen, wie es uns gefällt. Uns", führt Scharnigg aus, "das sind zum Beispiel Monika und Bernhard. Sie wohnen, wie man liest und sieht, in einem (Zitat) 'bunten Mix aus Musik, Mode und DIY-Must-Haves'." Das ist so die herrschende Sprache, es wimmelt von "coolen Retro-Teilen", "Omas Dachbodenschätzen", jeder Menge "Scandi-Flair".
Cosy", lernen wir, "bedeutet wie sein Lebenslob-Kumpel Hygge auch viel mehr als nur Interieur." Und man ist schon dabei, sich ganz "scandi" und "hygge" und wohl und fast schon nicht mehr dick zu fühlen – da fordert die harte Wirklichkeit sogar im Inhaltsverzeichnis von Cosy ihren Tribut – mit der: "Problemzone Flur".
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