Aus den Feuilletons

Was ist Kunst?

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und ZDF-Moderator Jan Böhmermann in verschiedenen Aufnahmen nebeneinander.
Am Dienstag wurde in Hamburg ein Urteil verkündet. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte gegen Moderator Jan Böhmermann und dessen "Schmähgedicht" geklagt. © dpa / Robert Ghement
Von Hans von Trotha · 15.05.2018
Das Urteil im Prozess gegen Jan Böhmermann und sein "Schmähgedicht" beschäftigt das Feuilleton. Die "FAZ" meint, eine lange zurückliegende Zeitungsschlagzeile könnte die Ursache für Erdogans Groll gegen die Presse sein.
Reden wir über Artikelüberschriften. Und über "Schöpfungshöhe". Wenn die fehlt, steht ein Werk nicht mehr unter besonderem Schutz, weil es sozusagen gar kein Werk ist. Jan Böhmermanns Erdogan-"Schmähkritik" fehlt die "Schöpfungshöhe". Das hat das Hanseatische Oberlandesgericht festgestellt. Während Michael Hanfeld es sich in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG mit seinem:
"In diesem Fall würden wir angesichts der gewollt derben Ausführungen Böhmermanns von `Schöpfungshöhe´ lieber gar nicht sprechen"
arg einfach macht, geht Christian Rath der Sache in der taz differenzierter nach, wenn er erst die Böhmermannsche Argumentation, er habe doch vorführen wollen, was hierzulande nicht erlaubt sei, quasi verlängert, indem er einen der inkriminierten Sätze mit der Bemerkung versehen zitiert, dass solche Zeilen weiterhin untersagt seien, um dann zu begründen, warum er es für eine gute Idee hielte, wenn Böhmermann vors Bundesverfassungsgericht zöge:
"Denn was macht man mit einem, der die abscheulichsten Sachen sagt – angeblich nur, um zu zeigen, was in Deutschland verboten ist? Einem Filou wie Böhmermann lässt man das vielleicht noch durchgehen, vor allem wenn es einen Politiker wie Erdoğan trifft, der sich immer mehr zum Despoten entwickelt. Doch die Justiz", so Rath, "darf eben nicht nach Sympathie entscheiden. Sie muss Maßstäbe entwickeln, die auch dann brauchbare Ergebnisse liefern, wenn ein rechter Künstler Böhmermanns Methode auf den israelischen Staatschef anwenden würde."

Die Verlogenheit im Fußball

Gäbe es so etwas wie eine "Schöpfungshöhe" bei Artikelüberschriften, könnte man sie dem Titel von Jürgen Kaubes FAZ-Kommentar zu der Frage zusprechen, warum der Fußball so verlogen ist. Unter der schönen Überschrift "In der Tugendherberge" geht es schon wieder um Erdogan, nämlich darum, dass die türkischstämmigen deutschen Nationalspieler Ilkay Gündogan und Mesut Özil sich mit ihm haben ablichten lassen.
"Die törichte Handlung" ist, so Kaube, "das eine. Das andere ist, dass die Spieler jetzt mit erhobenem Zeigefinger an die Werte erinnert werden, für die der Deutsche Fußball-Bund stehe." Und Kaube fragt: "Welche Werte sind es denn?"
"Wären wirklich wichtige Werte ignoriert worden", meint er, "dann müssten die Spieler aus dem Kader genommen werden." Jedoch gehe es "nur um moralisches Händeringen vor der Öffentlichkeit. Und also lautet (laut Kaube) eine Antwort auf die Frage, wie es zur Verlogenheit im Fußball kommt: dadurch, dass man partout behauptet, es gehe im Fußball um Werte, sich aber einfach nicht entscheiden kann, um welche. Und außerdem fürs Gewinnen nicht selten Leute braucht, denen solche Fragen im Zweifel sowieso egal sind."

Verbotene Überschriften

Um Erdogan, um eine Artikelüberschrift und um die juristischen Folgen eines Gedichts geht es in Bülent Mumays FAZ-Antwort auf die Frage: "Warum Erdogan die Medien hasst".
Das habe "einen ganz persönlichen Grund".
Bülent macht es spannend, was seinem Beitrag eine gewisse "Schöpfungshöhe" verleiht.
"Hinter dem Groll Recep Tayyip Erdogans auf die Medien stecken (demnach) die tiefen Spuren einer Zeitungsüberschrift über ihn aus der Zeit noch vor seinem Regierungsantritt. Eine 1997 in der kleinen Stadt Siirt im Südosten der Türkei gehaltene Rede sollte (Erdogans) politisches Schicksal verändern. Erdogan gab der Menge islamistische Botschaften und rezitierte ein Gedicht: `Die Minarette (sind) unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme / Die Moscheen unsere Kasernen, die Gläubigen unsere Soldaten ...´"
Unabhängig von der "Schöpfungshöhe" dieser Zeilen, scheint deren Wiederholung derzeit nicht strafbewehrt zu sein. Damals aber wurde Erdogan "wegen Volksverhetzung" verurteilt und erhielt Politikverbot. Eine linksliberale Zeitung meldete das Urteil unter der Überschrift: `Er wird nicht einmal mehr Gemeindevorsteher werden können.‘
"Wenn heute unzählige Publikationsorgane in der Türkei verboten, etliche Journalisten inhaftiert sind heißt das" nach Bülent Mumay, "die Überschrift von 1998 wirkt weiter. Obwohl er 93 Prozent der Medien im Land kontrolliert, fühlt Erdogan sich noch immer nicht sicher."
Und Mumay zitiert noch eine Überschrift, eine, auf der Website der Zeitung "Cumhuriyet", die gesperrt wurde, während er seinen Essay schrieb, nämlich:
"Für Erdogans Sommerpalast wurden 40 000 Bäume abgeholzt."
Womöglich ist das Gegenteil von "Schöpfungshöhe" ja schlicht Niedertracht.
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