Aus den Feuilletons

Warum wir an Politikern herumnörgeln

04:21 Minuten
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), gekleidet in einem rosa Blazer, zusammen mit Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, bei seinem Antrittsbesuch in Deutschland vor dem Bundeskanzleramt.
Es gibt immer was zu nörgeln und zu gaffen - etwa während des Staatsbesuchs des ukrainischen Präsidenten, als Bundeskanzlerin Angela Merkel die Hitze offenbar sehr zu schaffen machte. © picture alliance/dpa/Wolfgang Kumm
Von Klaus Pokatzky · 19.06.2019
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Die Feuilletons widmen sich dem 200. Geburtstag von Jacques Offenbach, einer japanischen Jazzpianistin und der Liebe der Bürger zum Nörgeln und Gaffen. Etwa wenn es einen leichten Schwächeanfall der Kanzlerin zu beobachten gibt.
"Schreiben heißt warten", macht die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG dem Pressebeschauer Mut. "Schreiben heißt warten – und scheitern."
Das klingt nun gar nicht gut. Hätten wir den Satz doch lieber nicht zu Ende gelesen: Das blockiert.
"Schreibblockaden werden meistens als psychologische Hemmnisse beschrieben und mit einer Flut entsprechender Ratgeber therapiert", erfahren wir von Andreas Langenbacher.
"Ich wünsche allen, bei denen so etwas hilft, viel Glück im permanenten Flow." Mal sehen, ob das hilft.
"Glaubt man Umfragen, könnte sich jeder dritte Deutsche vorstellen, mit einem Sexroboter ins Bett zu steigen." Das steht in der Wochenzeitung DER FREITAG – und damit wir jetzt nicht eine totale Schreibblockade bekommen, suchen wir nach einem harmlosen Thema.
"Musik ist kein Sport", lesen wir in der Tageszeitung TAZ. "Sie kommt vom Kopf und vom Gefühl", erzählt die japanische Jazzpianistin Aki Takase im Interview.
"Ich bin 71 Jahre alt und keine 20-jährige Frau mehr. Körperlich ist das ein großer Unterschied. Aber ich bin heute lockerer, ich kann am Klavier leichter alles an Emotionen und Gefühlen aus mir herausholen."

Musikkabarettist und Charakterspötter

Das allein ist schon aufmunternd genug – und wird noch gesteigert, wenn Aki Takase sich nicht nur zum Jazz bekennt:
"Ich finde aber auch die klassische Musik wunderbar. Hauptsache, gute Musik, würde ich sagen, egal aus welcher Richtung."
Musik vielleicht vom großen Jubilar des Donnerstags? Ein Mann ist das, der einiges zu bieten hat: "Nicht nur der größte Musikkabarettist der Epoche von Napoléon III., sondern auch ein genuiner Romantiker", wie es im Berliner TAGESSPIEGEL heißt.
"Einer, der immer wieder auch die schattige Seite seiner Seele offenbart", so gratuliert Frederik Hanssen dem Komponisten Jacques Offenbach, geboren vor 200 Jahren in Köln.
Auch die Tageszeitung DIE WELT würdigt "das frivole Genie" – mit all seinen Facetten:
"Als sein eigener Theaterbetreiber, vor allem aber als genialer Horcher am Busen des Zeitgeists", wie Manuel Brug schreibt. "Der geniale Klangkomiker und Charakterspötter wird weiterhin mit ‚Hoffmanns Erzählungen' als Opernkernbestand und etwa zehn Operetten präsent sein."

Wer Politiker bewundert...

Nun sind wir frohgemut genug gestimmt – und können uns der harten Politik zuwenden. "Wir leben in Deutschland im besten aller Zeitalter, tun allerdings alles, um es schlecht zu reden", erklärt im FREITAG der Mediziner Joachim Bauer.
"Politiker zu 'bewundern', ist eine Art Geisteskrankheit", warnt uns der Psychiater und Psychotherapeut.
"Haben wir einen Politiker (oder eine Politikerin) hochgejubelt, entdecken wir irgendwann, dass es eigentlich nichts zu ‚bewundern' gibt, woraufhin wir ihn (oder sie), weil wir unsere überspannten Erwartungen enttäuscht sehen, zur Rache abstürzen lassen."
An der Bundeskanzlerin mag Joachim Bauer aber so einiges: "Ihre Unaufgeregtheit, ihre Kompetenz und das unspektakuläre, attitüdenfreie Auftreten."

Wenn Mutti zittert

Für Aufregung sorgte allerdings Angela Merkels zittrige Haltung beim Empfang des neuen ukrainischen Präsidenten. "30 Grad, pralle Sonne", so schildert die TAZ die äußeren Umstände. Wenn nun Hunderttausende in einem Video bei YouTube sehen wollen, "wie Merkel zittert", so scheint der TAZ das "in tiefere Regionen der Niedertracht zu deuten, von der sich wohl die wenigsten unter uns freisprechen können".
Ambros Waibel fragt pikiert: "Unterscheidet sich das in der ethischen Qualität von Gaffern, die Autobahnen blockieren, um bei Unfällen abgetrennte Gliedmaßen zu beglotzen und zu filmen?"
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