Aus den Feuilletons

Vom Glück zu Leben

Ruth Frehner, Kuratorin der James-Joyce-Stiftung in Zürich liest in "Ulysses".
Heute ist wieder Bloomsday - zu Ehren von James Joyce' Klassiker "Ulysses" © picture-alliance/ dpa / Keystone Bally
Von Tobias Wenzel · 16.06.2018
Der Tod des Schriftstellers Dieter Wellershof beschäftigt mehrere Zeitungen. Nach Erfahrungen als junger Soldat im 2.Weltkrieg war der Kölner Autor davon überzeugt, dass vor allem der Zufall das Leben bestimmt, erinnert die "SZ".
"Heute ist es wieder so weit", ruft Uwe Ebbinghaus in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG aus:
"Joyce-Verehrer aller Länder treffen sich an der ‚rotzgrünen Irischen See‘ in Sandycove oder gleich in der North Great George’s Street in Dublin, um zum Frühstück traditionell halbgare Nierchen mit einem Pint Guinness herunterzuspülen." Denn am 16. Juni 1904 tat Leopold Bloom, die Hauptfigur im Roman "Ulysses" von James Joyce, genau das. Und so ist jeder 16. Juni ein Bloomsday, ein Tag, an dem Joyce-Fans die Handlung des Romans nachspielen.
Aber hätten nicht auch andere Schriftsteller und Romane solch einen Tag verdient?, fragt Ebbinghaus und denkt an "Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk" von Jaroslav Hašek: "Warum gibt es keinen Švejk-Day in Prag mit reichlich dunklem Bier im ‚Kehlchen‘ und einer anschließenden kollektiven Rollstuhlfahrt, bei der alle Beteiligten, sooft sie möchten, aus voller Kehle ausrufen: 'Es lebe Kaiser Franz Joseph I.!' - oder wahlweise Wladimir Putin, Donald Trump, Kim Jong-un?"

Sport als Machtsymbol

"Putin ist der personifizierte Machtkult, der Wille zum Sieg", schreibt der russische Schriftsteller Viktor Jerofejew in der WELT. "Sport ist für ihn ebenso wie Krieg eine großartige Demonstration kämpferischer Fähigkeiten. Die Fußballweltmeisterschaft in Russland hat er nicht weniger entschlossen angestrebt als die Winterolympiade in Sotschi. Sie ist für ihn vielleicht nicht weniger wichtig als die Annexion der Krim."
Deshalb boykottiert Jerofejew als Fernsehzuschauer die Fußball-WM. Schließlich stehe der Sieger schon jetzt fest: "Egal, was bei dieser Weltmeisterschaft passiert, wer auch immer im Finale triumphiert, Putin wird ganz oben auf dem Siegerpodest stehen. Als Fan von Mega-Sportevents hat er die ganze Welt dazu gebracht, Fußball in einem Land zu schauen, das ganz und gar ihm gehört. Selbst im Vergleich zu Sowjetzeiten, als unsere Führer zumindest formal gemeinsam mit dem Politbüro regierten, ist Putin ein Alleinherrscher."

Vom Zufall und Glück im Leben

Vom Alleinherrscher zum Zufallsgläubigen, dem deutschen Schriftsteller Dieter Wellershoff. Der ist am Freitag im Alter von 92 Jahren in Köln gestorben. "‚Im Dickicht des Lebens‘ heißen die ausgewählten Erzählungen, die zu seinem 90. Geburtstag erschienen sind", schreibt Meike Feßmann in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. "Und diese Metapher entsprach ganz seinem Weltbild. Im Leben geht es nicht übermäßig zuverlässig zu und überschaubar schon gar nicht. Jederzeit redet der Zufall ein gewaltiges Wörtchen mit." – "Sein Leben passte nicht in die Klischees, die man sich in der alten Bundesrepublik über Schriftsteller gemacht hatte", bemerkt Dirk Knipphals in seinem Nachruf für die TAZ: "Weder debütierte er jung mit einem Knall, noch gab er sich genialisch oder großschriftstellerisch.
Vielen Kritikern war er auch zu klug und reflektiert; ein Autor, der wirklich selbst weiß, was er tut, war im deutschen Literaturbetrieb lange verdächtig." Marc Reichwein zitiert in der WELT Wellershoff mit Blick auf dessen Kriegserfahrungen als Schülersoldat: "Ich begriff erst in wiederkehrenden Aufwallungen von Glück, dass ich noch lebte. Das war die einzige elementare Gewissheit, von der ich ausgehen konnte, während sich die ganzen Dimensionen des Massentodes und des Massenmordes allmählich enthüllten."

Nutzloses Insiderwissen in der Schule

Mit "Massenmord" sollte man nicht enden. Drum zum Schluss noch eine Anekdote, die Martin Wolf im neuen SPIEGEL erzählt. Und zwar über den britischen Schriftsteller Ian McEwan. Der wollte einmal seinem Sohn Greg bei den Hausaufgaben helfen. In Wolfs Worten: "Greg musste einen Aufsatz schreiben, eine Interpretation des Romans ‚Liebeswahn‘. Ian McEwan glaubte das Buch recht gut zu kennen, er hat es immerhin selbst geschrieben, und so gab er seinem Sohn ein paar Tipps. Das Ergebnis? Greg bekam von seiner Lehrerin die Note ‚ausreichend‘."
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