Aus den Feuilletons

Türkei-Korrespondenten unter Druck

Ein Reporterteam an der Grenze zur Türkei
Ein Reporterteam an der Grenze zur Türkei © picture alliance / dpa / Uygar Onder Simsek / MOKU
26.04.2016
In der Türkei werden nicht nur einheimische Journalisten, sondern zunehmend auch ausländische Berichterstatter behindert. "In der Praxis sucht sich das Land gerade aus, wer aus der Türkei berichten darf und wer nicht", schreibt der Mike Szymanski, der in Istanbul lebt und für die Süddeutschen Zeitung schreibt.
In der NZZ erinnert die in Zürich lebende Publizistin Wei Zhang eindringlich an den Ausbruch der Kulturrevolution.
"Das diesjährige chinesische Totenfest Qingming fiel auf den 4. April. An diesem Tag besucht man in China traditionell die Gräber. Aus Chongqing rief mich meine jüngere Schwester an und erzählte vom Besuch am Grab unseres Vaters. Dabei erwähnte sie, dass sie auch am Grab des jüngsten Onkels gewesen sei. Als ich sie darauf hinwies, dass dieses Jahr auch des 50. Jahrestags des Ausbruchs der Kulturrevolution zu gedenken sei, während deren dieser Onkel gewaltsam ums Leben kam, war sie überrascht. Sie konnte es nicht fassen, dass das schon so lange her sei. Ich wiederum war bestürzt darüber, dass das Gedenken an die damaligen Ereignisse in China offenbar kein Thema ist."
Es liegt in der Natur der Sache, dass Regierungen gern kontrollieren würden, womit sich die von ihnen Regierten beschäftigen und womit lieber nicht. Auch bei uns. Andreas Zielcke nimmt in der SÜDDEUTSCHEN eine EU-Richtlinie aufs Korn, die Geschäftsgeheimnisse schützen soll, seiner Meinung nach aber vor allem Whistleblower gefährdet.
"Im Unterschied zum amerikanischen Whistleblower Protection Act haben wir in Deutschland keinen auch nur annähernd vergleichbaren Schutz von Skandalenthüllern. Der Abgrund zwischen ihrer öffentlichen Wertschätzung und dem abfälligen Misstrauen, das ihnen Politik und Wirtschaft entgegenbringen, ist tief. Allerdings nicht nur hierzulande, sondern in ganz Europa, nein auch in den USA, trotz des Gesetzes."

Dem Ausland meint der Verfolgungswahnsinnige trotzen zu müssen

Zielckes Blatt interessiert sich dafür gerade besonders, hatte es doch so etwas wie die Schirmherrschaft über die Enthüllungen der Panama-Papers. Deren Durchschlagkraft hat allerdings unter der der sogenannten Böhmermann-Affäre gelitten, die in Wahrheit eine Erdoğan-Affäre ist. Wer das zuerst nicht sehen wollte, sollte spätestens dieser Tage überzeugt sein. Ebenfalls in der SÜDDEUTSCHEN berichtet Mike Szymanski aus der Türkei. Und da wird noch einmal deutlich, dass die Böhmermann-Intervention Teil einer Strategie war.
"In der Türkei bleibt es nicht bei mündlichen Belehrungen darüber, was aus Sicht von Präsident Recep Tayyip Erdoğan guter Journalismus ist. In der Praxis sucht sich das Land gerade aus, wer aus der Türkei berichten darf und wer nicht. Erdoğan vertraut nur den Medien, die ihm gefügig sind oder die von Vertrauten kontrolliert werden. Auf die Berichterstattung der Auslandspresse hat er keinen Einfluss. Daher steht sie spätestens seit den Massenprotesten um den Istanbuler Gezi-Park unter Beobachtung, als Erdoğan heftige Kritik einstecken musste."
Doch damit nicht genug. Nicht nur die Auslandspresse, dem ganze Ausland meint der Verfolgungswahnsinnige trotzen zu müssen. "Türkischen Druck" macht die Jürg Altwegg in der FAZ jetzt auch in der Schweiz aus:
"Das Anliegen ist eine einzige Anmaßung: Auch die Stadt Genf, den europäischen Sitz der Vereinten Nationen, will der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in den Griff seiner Zensur bekommen. Seine Diplomaten sind bei der Stadt vorstellig geworden und fordern die Entfernung eines Bildes, das Teil einer Freilichtausstellung auf dem Platz vor dem Völkerbundpalast ist. Unvergessen ist in Genf der Druck der Türken, die mit einigem Erfolg ein lange geplantes Mahnmal Tränen des Erinnerns´, das an den Völkermord an den Armeniern erinnern soll, systematisch zu verschleppen verstehen und am liebsten ganz verhindern möchten."

"Millionen von Toten hat die Kulturrevolution gefordert"

Wei Zhang schreibt am Ende ihres Beitrags in der NZZ:
"Millionen von Toten hat die Kulturrevolution gefordert, die 1966 von Mao zwecks Säuberung der Partei als politische Kampagne losgetreten und bis 1976 fortgeführt wurde. Über die Irrungen und Wirrungen dieser Zeit liegt in China bis heute der Mantel offiziellen Schweigens. Die kollektive Verdrängung dieses monumentalen chinesischen Unheils hat dazu geführt, dass auch fünfzig Jahre später vieles ungeklärt ist. Wo die Toten aber keine Erlösung im Gedächtnis der Lebenden finden, besteht die Gefahr, dass die Geister der Vergangenheit sich zurückmelden, wenn die Zeit dafür gekommen ist."
Davon sollte jemand mal, ganz vorsichtig und im richtigen Moment, Recep Tayyip Erdoğan erzählen.
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