Aus den Feuilletons

Starke Worte von Marcel Beyer

Georg-Büchner-Preisträger Marcel Beyer
Der Schriftsteller Marcel Beyer während der Verleihung des Georg-Büchner-Preises am 05.11.2016 in Darmstadt (Hessen). © picture alliance/dpa/Foto: Andreas Arnold
Von Tobias Wenzel · 06.11.2016
"Eierlikördeutsch", "Ferkeldeutsch" und "Knatterdeutsch". In seiner Dankesrede hat sich Schriftsteller Marcel Beyer anlässlich der Verleihung des Büchnerpreises auf seine Art über Pegida und Co. geäußert und damit auch das Feuilleton begeistert.
"Marcel Beyers Dankesrede für den Büchnerpreis war starke Literatur", schreibt Joachim Güntner in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Die Literaturexperten der Feuilletons zitieren fasziniert die Varianten des Deutschen, die Marcel Beyer ausgemacht hat. "Er, Beyer, brauche ´Kalbsdeutsch und Erbsenfresserdeutsch so dringend wie das Hammelfleischdeutsch, das Leoprintdeutsch der Krawallfernsehfamilien, das patzergesprenkelte Dünkeldeutsch, das dampfende Kartoffelsuppendeutsch`", gibt Mara Delius den Preisträger in der WELT wieder.
Und Volker Breidecker führt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG folgende Deutsch-Varianten an, die Marcel Beyer als "Sprachsäufer", wie der sich selbst nennt, gierig und forschend aufnehme: das "Schädelnervendeutsch", "Eierlikördeutsch", "Ferkeldeutsch", "Wölfinnen- und Zicken- und Zeckendeutsch", selbst das "Knatterdeutsch" einer Walther P-38 und das "Carl-Schmitt-trifft-Florian-Silbereisen-Deutsch der Leitkulturpamphlete".
Beyer sei Zaungast der Pegida-Wagenburgen, schreibt Breidecker weiter in der SZ, und müsse also "auch aus trüben Quellen schöpfen". Zitat aus der Dankesrede: "Ich brauche diese grundverunglückte Heiligabendsprache, die Deutschlandretter mit einem Dschihadistenernst zelebrieren, dass mir das Blut in den Adern gefriert."

Pegida und AfD wollen von der Schweiz lernen

Beyer will also auch von der Pegida-Sprache lernen. Und Pegida und AfD wollen von der Schweiz lernen. Letzteres ist die zentrale Beobachtung von Charlotte Theile in ihrem Artikel für die SZ. Pegida nehme sich die Schweiz zum Vorbild "bei der Bearbeitung von Asylanträgen, bei der Zuwanderung, bei Bürgerentscheiden". Theile zitiert den Schweizer Politikwissenschaftler Michael Hermann mit den Worten, die direkte Demokratie helfe "eher den Rechten", jedenfalls, "wenn es um Ausländer oder Sicherheit" gehe.
Theile erinnert daran, dass die Schweizer Sportmoderatorin Steffi Buchli einen Shitstorm erfuhr, "nachdem sie dreieinhalb Monate nach der Geburt ihrer Tochter wieder in den Beruf einstieg – mit einer 80-Prozent-Stelle". In einem Internetkommentar habe man ihr vorgeworfen, sie vernachlässige ihr Kind, was mit hunderten von Likes quittiert worden sei. Dazu Charlotte Theile in der SZ: "Vor diesem Hintergrund erscheint die Begeisterung der Rechtskonservativen aus dem Ausland nachvollziehbar: die Schweiz als 1950er-Jahre-Alpenidyll."

2012 wäre Trump noch Science Fiction gewesen

Christian Schwägerl geht gar nicht so weit zurück, sondern nur bis ins Jahr 2012. Aber es kommt ihm wie ein gewaltiger Sprung vor.
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG schreibt er: "Könnte man einen Videoclip, der Donald Trump dabei zeigt, wie er über den Hintern von Hillary Clinton lästert oder wie er erklärt, er werde die Wahl nur bei einem Sieg anerkennen, einem Erdbewohner des Jahres 2012 vorführen, würde dieser das mit Sicherheit als Science Fiction einstufen."
Das "Zeitintervall, das man in der Vergangenheit zurückgehen" müsse, "bis sich die Gegenwart wie ein Science Fiction" anfühle, gebe man mit t(sf) an. Und t(sf) betrage zurzeit wohl nur noch vier Jahre. t(sf) sei auch ein Symbol dafür, "wie sich vor unseren Augen Selbstverständlichkeiten" auflösten, die mehrere Generationen bestanden hätten. Selbstverständlichkeiten wie Demokratie, offene Grenzen, Wohlstand durch Technologie, eine halbwegs intakte Umwelt seien plötzlich nicht mehr garantiert. Die "Selbstverständlichkeits-Lüge", die "Illusionsblase", platze nun. Die Menschheit könnte ihr blaues Wunder erleben. Am Ende des FAZ-Artikels dann doch noch ein kleiner Hoffnungsschimmer:
"Vielleicht repolitisiert sich sogar die Jugend", schreibt Schwägerl. "Es wäre aber existentiell gefährlich, damit bis t(sf)=0 zu warten."
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