Aus den Feuilletons

Shakespeare im französischen Flüchtlingslager

William Shakespeare als Wachsfigur
Der englische Lyriker William Shakespeare als Wachsfigur. © picture alliance / dpa / Foto: Jens Kalaene
Von Tobias Wenzel · 07.02.2016
Schauspieler vom Londoner Shakespeare’s Globe haben in einem Flüchtlingslager in Calais Theater gespielt. Dem Afghanen Nurla war der eigene Auftritt offenbar wichtiger, als der englische Dramatiker, schreibt die "SZ": Er "albert mit den Betreuern, lästert über die deutsche Polizei".
"Herr Küppersbusch, was war schlecht in der vergangenen Woche?",
"Trump möchte ´Waterboarding` wieder einführen, Petry an der Grenze rumballern."
Ob die AfD das wirklich ernst meine, das mit dem Einsatz von Schusswaffen an den deutschen Grenzen, hakt die TAZ nach. Küppersbuschs Antwort:
"Ja. Der Storch bringt die Kinder und die Storch bringt sie um."
Shakespeare in Calais
"Shakespeare? Dem jungen Nurla aus Afghanistan scheint der Name wenig zu sagen",
schreibt Joseph Hanimann in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Londoner Schauspieler vom Shakespeare’s Globe haben in einem Flüchtlingslager im nordfranzösischen Calais Theater gespielt. Und Hanimann hat das und vor allem das Publikum beobachtet.
"Wichtiger als Bühnentheater ist ihm sein eigenes Theater",
schreibt Hanimann über den jugendlichen Afghanen Nurla.
"Unablässig spricht er drauflos, albert mit den Betreuern, lästert über die deutsche Polizei, mit der er bei der Durchreise schlechte Erfahrungen gemacht habe. (…) Seine Schule sei von den Taliban gesprengt worden, erzählt er und zeigt eine Narbe auf der Hand: Hier der Beweis. Wahrscheinlichkeit und Wahrheit fließen im Migrantenleben gern ineinander."
Ob Nurla, dem Shakespeare nichts sagt, dagegen schon von Michel Houellebecq und dessen Roman "Unterwerfung" gehört hat?
Houellebecqs "Unterwerfung" Hamburger Schauspielhaus
"Für einen Moment im vollbesetzten Hamburger Schauspielhaus, kurz vor der Premiere von ´Unterwerfung`, fragt man sich schon, ob eine solche Veranstaltung nicht auch ein Ziel für deutsche Islamisten sein könnte",
beschreibt Eva Behrendt in der TAZ ihre Gedanken über Karin Beiers Inszenierung.
"Doch der Clou von Houellebecqs Roman ist ja gerade, dass er die ´moderate` (nun ja) Islamisierung Frankreichs keinesfalls als Katastrophe schildert, sondern als bestechende Alternative zu eben jener westlichen Dekadenz, die sowohl der von Nikotin und Alkohol gezeichnete Houellebecq als auch sein depressiver Ich-Erzähler François verkörpern."
Stefan Grund ist merklich angetan von Edgar Selge. Der Schauspieler erwecke den Roman als Monolog "zu gespenstisch echtem Leben", schreibt der Kritiker in der WELT.
Die Schauspielleistung imponiert zwar auch Hubert Spiegel von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Aber er erkennt den Ich-Erzähler des Romans nicht auf der Bühne wieder:
"Statt eines hypochondrischen ´Männchen` in Unterwäsche, wie François sich selbst bezeichnet, sehen wir ein stattliches Mitglied des akademischen Turnerbundes vor uns. (…) Was bei Houellebecq immer wieder auch zu berühren vermag, die durch und durch brüchig-depressive, hilflos-heillos-menschenscheue Verzweiflung seiner Figuren, geht ausgerechnet bei Selge, diesem großen Darsteller des Abgründigen, weitgehend verloren."

Till Briegleb sieht das ähnlich kritisch. In der SZ schreibt er:
"Die Freude am feinen Spott vermittelt eher die Aussage, dass man die Spekulationen über eine Konfrontation zwischen Rechtsextremen und Islamisten in Europa nicht so recht ernst nehmen muss. Und da wird das Thema dann vielleicht doch zu sehr der Virtuosität unterworfen."
Nur ein deutscher Film bei der Berlinale
Mit "24 Wochen" gebe es nur einen einzigen deutschen Film im Wettbewerb der Berlinale, wundert sich Hanns-Georg Rodek in der WELT. Warum sei zum Beispiel das Drama "Wild", die neue Regiearbeit von Nicolette Krebitz, nicht in Berlin dabei, ein Film, der sich durch das Sundance-Festival zum "Stadtgespräch" entwickelt habe? In den Worten von Hanns-Georg Rodek:
"Auf die telefonische Anfrage, warum ihr Film im fernen Utah statt im nahen Berlin laufe, antwortete die Kölner Produzentin Bettina Brokemper – im Hintergrund eindeutige Karnevalsgeräusche – nur mit einem unglücklich-fröhlichen ´Alaaf!`"
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