Aus den Feuilletons

Schwelgen im regierungsfreien Raum

Bundeskanzlerin Angela Merkel verlässt den Bundestag.
Die scheinbar regierungsfreie Zeit ist bald zu Ende - in der "Süddeutschen" ist Willi Winkler deswegen wehmütig. © dpa picture alliance/ Maurizio Gambarini
Von Hans von Trotha · 28.02.2018
Die Feuilletons beschäftigen sich mit einem möglichen Scheitern des SPD-Mitgliederentscheids. Die "Frankfurter Allgemeine" rechnet leidenschaftlich mit den Parteien ab. In der "Zeit" sinniert Jürgen Habermas darüber, was Sigmar Gabriel in einer neuen Regierung leisten könnte.
"Ohne Regierung waren wir frei", findet Willi Winkler und nimmt in der SÜDDEUTSCHEN schon mal "Abschied von einer traumhaften Zwischenzeit". Jürgen Kaube traut dem noch nicht ganz. In der FAZ schreibt er:
"Nehmen wir an, die Sozialdemokraten tun, was sie unverständlicher-, schmerzlicher-, ja empörender- und verantwortungsloserweise seit langem tun: Sie zerlegen sich. Nehmen wir an, sie tun es diesmal durch einen Mitgliederentscheid. Nehmen wir weiter an, dass in unserem Land eine Minderheitenregierung nicht funktioniert. Weil seine Spitzenpolitiker immer nur einen zielstrebigen und pragmatischen Anschein erwecken, in Wahrheit aber ein ganz leeres, von demoskopischen Erwägungen, Talkshows und Interviews sowie der ständigen Wiederholung der eigenen Verlautbarungen zermürbtes Selbstbewusstsein haben. ... Nehmen wir also hypothetisch an, dass es Neuwahlen geben wird."
Diese hypothetische Annahme geht in eine leidenschaftliche Abrechnung mit den dann zur Wahl stehenden Parteien, beziehungsweise deren Personal über, und zwar anhand der aktuellen Debatte um die Essener Tafel und deren Vereinsvorsitzenden Jörg Sartor. "Wie wäre es", fragt Kaube, "einen Moment lang dem Gedanken nahezutreten, dass Jörg Sartor, der erklärtermaßen von Links und Rechts nichts wissen will, vor einem echten Problem steht, wenn übermorgen Neuwahlen sind? Nicht wegen der Globalisierung und nicht wegen der Flüchtlinge, um die er sich kümmert. Sondern wegen des wohlfeilen Geredes von politischen Tugenddarstellern, die lieber ihre Urteile und maßlosen Bilder twittern, bevor sie, wenn überhaupt, dazu bereit sind, sich ein realistisches Bild von dem zu machen, was nicht zuletzt von ihnen hervorgebracht wurde."
"Die Tafeln sind keine Suppenküchen", schreibt Kaube, "sie sind nicht dazu da, Menschen vor dem Verhungern zu retten, sondern sinnlose Verschwendung zu vermeiden und Armut zu lindern."

Habermas über die SPD und das europäische Projekt

Das sieht Jürgen Habermas anders. Der schreibt in der ZEIT: "Der immer wieder einmal versuchte Abgesang auf das Links-rechts-Schema" sei "wenig plausibel in einer Gesellschaft, in der mit dem durchschnittlichen Wohlstand die Zahl der in 'Tafeln' umbenannten Suppenküchen zunimmt." Sein Thema ist, vielleicht ein bisschen überraschend, die Frage: "Warum die neue Bundesregierung das europäische Projekt vorantreiben muss und Sigmar Gabriel dafür der richtige Mann wäre".
"Von wem überhaupt, wenn nicht von der Führung dieser sozialdemokratischen Partei, kann man erwarten, dass sie erkennt, wann eine Personalentscheidung nur ein persönliches Schicksal betrifft - oder von sachlicher Tragweite ist?", dräut der Frankfurter Philosoph. "In diese Perspektivlosigkeit" reihe "sich ein, wer nicht einmal in Erwägung zieht, ob nicht eine künftige Regierung ohne Gabriel die einzigen wegweisenden Worte des Koalitionspapiers vergilben lassen würde."
Ein bisschen versteckt, nämlich in der Beilage "Christ & Welt" finden sich in derselben ZEIT auch klare Ansagen zur CDU: "Wochenlang spratzte" - was für ein Wort! Also: "Wochenlang spratzte Unzufriedenheit aus der letzten Volkspartei ... , man fing an, über Dinge zu reden, die immer nur Unglück bringen, Identität zum Beispiel." Jedoch, so Bernd Ulrich: "Wenn die CDU ehrlich wäre, was sie gottlob nicht ist, würde sie einfach sagen: Lieber schlecht regieren als nicht regieren."

"Ursula von der Leyen kann Außenpolitik"

Und das auch in der Zeit nach Merkel. Ulrich schaut sich die die potentiellen Kandidatinnen und Kandidaten an. Auch da geht es um Außenpolitik: "So sehr", schreibt Ulrich, "die Republik seit einem halben Jahr versucht, die Welt da draußen zu ignorieren: Wir leben in einer außenpolitischen Welt, eine Kanzlerin muss das können, und zwar von der ersten Sekunde ihrer Amtszeit an. Solche Probleme", findet Ulrich, hätte eine Kandidatin nicht: "Ursula von der Leyen kann Außenpolitik", meint er - so wie Habermas das im gleichen Blatt von Sigmar Gabriel meint.
Vielleicht hat Willi Winkler ja doch Recht, wenn er der Zeit ohne Regierung nachweint. "Dass", so Winkler, "es eine Regierung brauche, weil das Land sonst im Chaos versinkt, ist eine alte Illusion, heute genährt durch Talkshows, in denen verlässlich das Land in den Abgrund taumelt, wenn nicht ... - ja, wenn was nicht? Endlich ein starker Mann kommt? Eine noch stärkere Frau? Oder wenigstens Friedrich Merz?"
Zum Glück haben die Feuilletons in vielem, aber nicht in politischen Personalfragen das letzte Wort.
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