Aus den Feuilletons

Scheitern mit Flusspferd

Flusspferd Maikel in seinem Gehege im Zoo von Frankfurt
Flusspferd Maikel in seinem Gehege im Zoo von Frankfurt © dpa / picture alliance / Zoo Frankfurt
Von Maximilian Steinbeis · 09.03.2015
Die "Neue Zürcher Zeitung" hat ihre helle Freude an Arno Geigers neuem Roman "Selbstporträt mit Flusspferd", in dem Misserfolg eine Rolle spielt. Das Scheitern als solches erklärt die "Süddeutsche Zeitung" sogar zum "Gesellschaftsthema".
Bauspekulanten in der WELT, gescheiterte Existenzen in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, postkoloniale Theorie in der TAZ, und die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG gibt uns diesen Satz zu lesen: "Optimist ist, wer hofft, dass die Dinge nicht ganz so schnell so schlecht werden, wie es eigentlich zu erwarten wäre."
Es gab schon lustigere Tage, aber gottlob sucht und findet der Feuilletonist seelische Stütze in der Schönheit des wirklichen Augenblicks, und zwar dieser Tage bevorzugt im Frankfurter Städelmuseum, das mit seiner großen Impressionistenschau, so Gottfried Knapp in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, "die Genese des impressionistischen Stils zum aufregenden Seh-Erlebnis macht". Allein 50 Monets zeigen sie im Städel, Werke eines "Ding-Magiers" von "geradezu unverschämter Leichtigkeit".
Wie es "kommen konnte, dass diese frühlingsgrüne Malerei ihr Versprechen ungetrübten Bilderglücks bis heute nicht gebrochen hat", fragt sich Hans-Joachim Müller in der WELT, und findet die Antwort in der "Sinnenhaftigkeit" dieser Bilder, "die sich zeichenlos mitteilt, die spürbar bleibt bei jeder Wiederbegegnung. Monet hat nichts zu sagen. Wer von der Kunst Inhalt erwartet – Unterweisung, Unterhaltung, Aufregung oder Aufklärung, der sitzt bei ihm im falschen Kurs".
Wilhelminische Epoche zu wenig wertgeschätzt
Solcherart gestärkt blättern wir eine Seite weiter in der WELT und finden dort aus dem Munde von Dankwart Guratzsch einen Jubelruf:
"Der Bauspekulant, er lebe hoch!"
Es geht um Berlin, um Gentrifizierung und die schnuckeligen Townhouse-Quartiere, die dort überall entstehen, wo eben noch die Satellitenschüssel des Hartz-IV-Empfängers an der rostigen Waschbetonfassade prangte.
"Die Häuser schmücken sich plötzlich wieder mit Gesimsen, Erkern, Balkonen, Loggien, Säulen, Dreiecksgiebeln, Lisenen und Türmen."
Eine "neue Gründerzeit" wie in der Blütezeit der Bauspekulation in den Jahren vor 1900 sieht Guratzsch heraufziehen, und das findet er einschränkungslos super:
"Erstmals seit hundert Jahren liegt die Befriedigung der Wohnwünsche der Nutzer den Händen von Spekulanten, die das Geld, die Ideen und die Nase für das haben, was sich ihre Kunden an Lebensstilen und gepflegten Wohnweisen erträumen."
Überhaupt, die wilhelminische Epoche findet der WELT-Autor viel zu wenig wertgeschätzt mitsamt ihrer Leistung, die Gesellschaft "für den gnadenlosen, brennenden Furor des technischen Fortschritts fit gemacht" zu haben:
"Wie vielen Entwicklungsländern würde man heute einen ähnlichen Aufbruch wünschen!"
Allumfassendes Drauflos-Scheitern
Wir wünschen dem WELT-Autor, sich bei Gelegenheit mal mit Postkolonialismus-Theorie auseinanderzusetzen, wie dies die TAZ in mehreren Artikeln heute tut, auf die näher einzugehen uns leider die Zeit fehlt, weil wir noch dem "Festival des Misserfolgs" am Stuttgarter Literaturhaus unsere Reverenz erweisen wollen, das Volker Breidecker für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG besucht hat.
"Scheitern ist zum Gesellschaftsthema geworden", findet der SZ-Autor, und dies sei "Grund genug, einmal die Literatur nach ihrer Kernkompetenz im Austausch mit Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Wissenschaft zu befragen – ist doch alles Scheitern seit Orpheus, Ödipus, Odysseus und den anderen buchstäblich bei ihr zu Hause".
Es geht um die Ukraine, Selbstmord, den Nahostkonflikt und Genazino, um "die ganze Spanne möglichen Scheiterns (….) – vom gewöhnlichen Stolpern bis zum Zerschellen von Lebensplänen, vom Erleiden von Schiffbrüchen im Arbeits- und Liebesleben bis zum Stranden von Wirtschafts- und anderen Unternehmen, von Krisen- zu Kriegsgebieten bis zu 'gescheiterten Volkswirtschaften' und 'gescheiterten Staaten'", und derart allumfassend drauflos zu scheitern, findet denn auch der SZ-Autor bei aller Sympathie "ein wenig frivol".
Gescheitert wird zu guter Letzt auch in Arno Geigers neuem Roman "Selbstportrait mit Flusspferd", an dem Andreas Breitenstein in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG seine helle Freude hat. Wer Angst vorm Scheitern, aber kein Zwergflusspferd zur Hand hat, sollte dieses Buch lesen und sich mit dem NZZ-Autor daran freuen, wie "dieses gähnende und fressende, stinkende und grummelnde Urvieh in seiner erratischen Gleichgültigkeit" den Protagonisten Julian davor bewahrt, "im Bodenlosen zu versinken".
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