Aus den Feuilletons

Sätze von universeller Schönheit und schöner Universalität

Der WM-Ball in guten Händen: Fußballkommentator Steffen Simon
Der WM-Ball in guten Händen: Fußballkommentator Steffen Simon © imago stock&people
Von Hans von Trotha · 19.06.2018
Die "Welt" lobt Maxim Biller, um für sich selbst zu werben. Der "Tagesspiegel" arbeitet sich an der Lyrik unserer TV-WM-Kommentatoren ab. Und die "FAZ" beschäftigt sich mit politischen Automatismen. Natürlich ironisch.
"Als Heidelberger Poetikdozent rechnet Maxim Biller mit Deutschlands Schriftstellern ab", schwärmt Mara Delius in der WELT. Die "seien im Schuldkomplex erstarrt". Biller, fordere "mehr Täterliteratur à la Jonathan Littell". Und Delius fragt: "Hat er damit nicht recht?"
Hat er natürlich nicht, ist man gleich versucht zu sagen, macht sich an die Lektüre, findet aber nicht richtig viel Material zur derart herausgestellten These – bis man gewahr wird, dass das womöglich Absicht sein könnte.
Am Ende des Artikels heißt es nämlich: "Maxim Billers Heidelberger Poetikvorlesung lesen Sie in voller Länge am Samstag in der 'Literarischen Welt'." Im Radio, aber auch im Fernsehen und in der Werbung nennt man das Teasern: Die Behauptung herausstellen, das Argument weglassen und dann auf später verweisen.

Mit Anglizismen das Eigentliche ummanteln

Horst Seehofer ist auch so einer, der gern teasert. Er ist sogar eine Art Metateaserer, der es schafft, Ankündigungen anzukündigen. Derzeit warten wir gespannt auf einen von ihm als solchen angekündigten "Masterplan".
Das - also die Ankündigung eines Masterplans, nicht etwa eines Plans - findet Matthias Heine, auch in der WELT, schlau: "Mit Business-Geschwätz gegen den Naziverdacht", hängt sich die Welt-Redaktion da einigermaßen weit aus dem Fenster: "Warum es klug von Seehofer war, sein Asylkonzept mit einem Anglizismus zu etikettieren".
"Vielleicht", mutmaßt Matthias Heine nach diesem Teaser, "kam Seehofer … der etwas schleimig maklerhafte, businessmäßige Sound des Wortes Masterplan ganz gelegen. Einer Politik, die von der gegnerischen Seite permanent unter den Verdacht gestellt wird, altdeutsche Blutreinheitsziele anzustreben, kann man eigentlich keinen größeren Gefallen tun, als sie mit einem so ganz und gar unvölkischen Anglizismus zu etikettieren."
Zur von ihm so genannten "Bläh- und Schwafelvokabel" Masterplan zitiert Heine noch die Sportfreunde Stiller, in deren Hymne zur 2006er-WM (Heine verzichtet hier nicht auf die Bläh- und Schwafelvokabel "Sommermärchen") es heißt: "Wir haben nicht die höchste Spielkultur, sind nicht gerade filigran, doch wir haben Träume und Visionen und in der Hinterhand 'nen Masterplan."
Ob das auf die Nationalmannschaft 2018 zutrifft, wissen wir noch nicht, aber immerhin, wie gesehen, auf deren Heimatminister.

Ein wenig Lob für die Phrasen-Quote

"Verbal weggrätschen", nennt Frank Bachner im TAGESSPIEGEL das hier soeben in Anwendung gebrachte Verfahren, einen Redner über eine seiner Formulierungen auszuhebeln. Bei Bachner geht es um Fußballkommentatoren, also mithin um Leute, die im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ungestraft Sätze sagen dürfen wie "Die Adler von Karthago kommen schon bei einem Unentschieden ins Fliegen hier" – gemeint waren die Tunesier – oder: "Die Engländer (da ist immerhin klar, wer gemeint ist) stehen beim Anstoß und freuen sich auf den Anpfiff, weil sie dann den vielen Mücken davonrennen dürfen".
Bachner zitiert diese Sätze, weil sie Futter für den "Steffen-Simon-Bashing-Klub" seien. Er berichtet von dem "überaus beliebten Ritual, den ARD-Kommentator verbal wegzugrätschen." "Nur", findet Bachner, "ist das Simon-Bashing inzwischen auch so langweilig." Auch meint Bachner: "Ein verunglückter Satz in 90 Minuten?" Für TV-Verhältnisse sei das doch "eigentlich eine verdammt gute Quote". Auch wieder wahr.
Politiker sollten eigentlich genauso auf ihre Worte achten wie Fußball-Kommentatoren, auch wenn ihnen nicht so viele Menschen zuhören. Was dem Seehofer der Masterplan, ist seiner Chefin gerade der "Automatismus", den es ihrer Meinung nach nicht gibt und den ihr die Nahles gleich verbal weggegrätscht hat. In der FAZ meint Christian Geyer dazu:
"Die Feststellung, einen Automatismus könne es nicht geben, sprach sich im politischen Berlin wie ein Lauffeuer herum. Eine Einigung zwischen CDU und CSU in der Asylkrise bedeute 'keinen Automatismus' für eine Zustimmung der SPD, sagte Andrea Nahles, den Ball zurückspielend." Und, so Christian Geyer weiter, "Annegret Kramp-Karrenbauer weitete die Formel wirkungsgleich ins Allgemeinmenschliche aus: All das, was uns heute selbstverständlich erscheint, folgte keinem Automatismus."
Einen Satz von derart universeller Schönheit und, mehr noch, schöner Universalität bekommt man in einer Kolumne, die nicht länger als vier Minuten dauern darf, verbal nicht weggegrätscht.
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