Aus den Feuilletons

Raketenalarm in Tel Aviv

Israelische Demonstranten fordern halten Schilder mit der Aufschrift "Israel: Pay the price of peace" in Englisch und Arabisch auf dem Tel Aviver Rabin-Platz am 16. August 2014. Sie fordern Frieden zwischen Israelis und Palästinensern.
Israelische Demonstranten fordern auf dem Tel Aviver Rabin-Platz Frieden zwischen Israelis und Palästinensern. © dpa / picture alliance / Gideon Markowicz
Von Burkhard Müller-Ullrich · 08.09.2014
"Die Welt" schildert Alltagsszenen aus Tel Aviv. In impressionistischen Notizen spiegeln sich die Gefährdung und die Ratlosigkeit der meisten Israelis wider - unsere Kulturpresseschau.
Selten bekommt man das Gefühl, dass Tel Aviv politisch-zivilisatorisch zu unserer Welt gehört, in deutschen Medien vermittelt. Die WELT macht eine Ausnahme mit einem Artikel, dessen Untertitel lautet:
"Raketen über Tel Aviv - Alltagsszenen eines seltsamen Sommers".
Es sind ziemlich impressionistische Notizen, in denen sich die Gefährdung und die Ratlosigkeit der meisten Israelis widerspiegeln. Da sind zum einen viele französische Juden, "die nahezu einzigen ausländischen Gäste in diesen Wochen," wie Mirko Martin schreibt, deren Davidstern-Kettchen breiter und sichtbarer sind als bei den einheimischen Israelis. In diesen Kreisen fällt ständig "das Menetekelwort 'Sarcelles', der Name der französischen Stadt, in der muslimische Jugendbanden Jagd auf ihre jüdischen Mitbürger gemacht hatten - angeblich im Namen der Gaza-Palästinenser."
In Israel wird aber auch über eine Facebook-Gruppe gestritten, in der sich angeblich fast zweitausend Juden zu sogenannten "Araber-Jagden" verabredet haben. Der israelische Generalstaatsanwalt ermittelt, und während Mirko Martin und seine Gesprächspartner debattieren, kommt wieder "der ohrenbetäubende dumpfe Plopp, wenn der 'Iron Dome' wieder einmal eine der aus Gaza abgeschossenen Hamas-Raketen abgefangen hat. Für rund 100.000 US-Dollar (israelisches Steuergeld) pro technischer Wunderleistung, die nun bereits hundertfach Menschenleben gerettet hat,"
wie Martin schreibt. Er hat sie alle getroffen: die linken Friedensdemonstranten, die dem Schriftsteller David Grossmann applaudieren -Typ
"aschkenasisches Tel Aviver Bildungsbürgertum, die das nahe Gaza gelegene Städtchen Sderot und dessen jahrelanges Leiden unter permanentem Raketenbeschuss wohl höchstens aus dem Fernsehen kennen -"
und den mittdreißigjährigen Tattoo-Typ, der eben noch vom Berliner "Berghain" schwärmte und dann ruft:
"Piff, paff - ein Araber nach dem anderen, damals in Gaza."
Zum Schluss, bei einem neuen Raketenalarm, sitzen sie alle
"wenige Tage vor Beginn des regulären Unterrichts im Behelfsbunker eines Schulkorridors, willkürlich zusammengewürfelt."
Filmwissenschaftler in Theresienstadt
Im Konzentrationslager Theresienstadt entstand vor 70 Jahren ein Nazi-Propagandafilm, an dem mitzuwirken zahlreiche Juden gezwungen wurden. Man kennt den Titel:
"Der Führer schenkt den Juden eine Stadt".
Weniger bekannt ist, dass es zu diesem Film zwei Vorläuferprojekte gab. Um die ging es auf einer Tagung von Filmwissenschaftlern und Historikern im tschechischen Terezín, also dem einstigen Theresienstadt, worüber Hannah Lührmann in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG schreibt. Dabei wurden auch verwegene Theorien erörtert, wie zum Beispiel die, in den Filmen seien versteckte Botschaften enthalten. Lührmann gibt ein Beispiel:
"Eines der Bilder zeigt nichts als einen Platz, in dessen Mitte zwei Pfosten ragen, an den Rändern stehen Kutschen oder Pflüge. Vorn im Bild sieht man den Schatten eines Mannes, der wohl eine Kamera hält - der Schatten eines SS-Mannes, der die Szenerie überwacht? Eines Mannes mit Kamera, der die Filmarbeiten filmt? Der Versuch mitzuteilen, alles sei unter strenger Aufsicht der SS- und Sicherheitsdienstmitglieder geschehen?"
Es mutet schon recht abstrus an, daraus ein "Kinematografie des Klandestinen" abzuleiten, wie es die Gastgeberin der Tagung tat.
Kulturpolitische Inseln
Ziemlich schräg sind auch die Thesen einer anderen kulturwissenschaftlichen Tagung, von der Thomas Steinfeld in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG berichtet.
Sie fand im österreichischen Kulturforum in Istanbul statt und handelte von Strategien, mit denen Metropolen Anspruch auf Einzigartigkeit erheben. Als Beispiele nennt Steinfeld Venedig, Istanbul und Wien. Alle drei, so erfährt man, seien Inseln. Dem möchte man bei Venedig nicht widersprechen, im Falle Istanbuls bedarf es schon eines gewissen diskursiven Aufwands, um die Behauptung zu stützen, doch Wien betreffend kann einem nur eine von Steinfelds ureigenen Formulierungen auf die Sprünge helfen:
"Nach den Kategorien der kulturpolitischen Repräsentation betrachtet, ist Wien eine Insel."
Tel Aviv wäre es nach denselben Kriterien übrigens auch, aber danach hat jetzt niemand gefragt.
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