Aus den Feuilletons

"Posten, snappen, streamen, twittern"

Ein Mann schlägt die Werbetrommel.
Ein Mann kommuniziert mit Hilfe der Neuen Medien © imago / Ikon Images
Von Klaus Pokatzky · 11.03.2018
Die "Welt" verfällt ob des Einflusses der Digitalkultur in Kulturpessimismus, ohne aber konstruktiv weiter zu denken, die "Causa Tellkamp" findet ihre Fortsetzung in der "Frankfurter Allgemeinen" und die "Neue Zürcher Zeitung" verbeugt sich vor einem Theologen, der auf Augenhöhe mit seiner Zeit gewirkt hat.
"Wenige Tage vor Beginn der Leipziger Buchmesse hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel über die mangelnde Lesekompetenz der Deutschen beklagt." Das erfahren wir aus der Tageszeitung DIE WELT. "Das hat natürlich damit zu tun, dass manch einer nach der Schule überhaupt nicht mehr gelesen hat", wird die Kanzlerin zitiert.

Jugendliche kennen nichts anderes als digitale Dauerpräsenz

"Alle Welt twittert, streamt, snappt, postet", heißt es in einem anderen Artikel der WELT. "Kinder und Jugendliche kennen nichts anderes als diese digitale Dauerpräsenz", schreibt Leonie Bartsch. "Durchschnittlich fünf Stunden am Tag verbringen sie mit WhatsApp, Facebook und Co. Die Nutzungszeiten für Computerspiele und anderen Internetkonsum kommen noch hinzu."
Das könnte ja die Frage aufwerfen, ob wir nicht endlich an unseren Schulen ein Pflichtfach namens Medienkunde einführen müssen – wo die jungen Menschen lernen, wie sie im Internet seriöse Quellen von unseriösen unterscheiden können; und wo ihnen vermittelt wird, dass ihre Texte in den asozialen Netzwerken mit Hirn und Verantwortung zu verfassen sind.
Doch darüber finden wir in dem Text von Leonie Bartsch leider nichts – obwohl das doch eine schöne Herausforderung für unsere Bundeskanzlerin wäre. "Es kann sein, dass die Digitalkultur unsere Gehirnstrukturen grundlegend verändern wird", lesen wir stattdessen: "Gut möglich, dass da viel mehr verloren geht als nur die korrekte Orthografie in WhatsApp-Nachrichten." Oder die Bereitschaft, überhaupt noch sowas Anstrengendes wie Bücher zu lesen…

Ostentative Larmoyanz vs penetrante Dünkelhaftigkeit

"Sollte es ein Ausweis für Meinungsfreiheit und -vielfalt sein, wenn zwei Schriftsteller zwei Stunden lang miteinander debattieren und aneinander vorbeireden", steht in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG, "dann hat Deutschland gerade eine kleine Sternstunde in Debattenkultur erlebt." Es geht um zwei Männer, die Bücher nicht nur lesen, sondern sogar schreiben: um Durs Grünbein und Uwe Tellkamp, die am Donnerstagabend in Dresden aufeinandertrafen.
"Tellkamp tat es mit ostentativer Larmoyanz aus der Position des angeblich verfemten Rechten und gedemütigten Ostdeutschen", meint die NEUE ZÜRCHER, "Grünbein hielt dagegen mit einer ähnlich penetranten Dünkelhaftigkeit des Intellektuellen."
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG ging die Sache da schon etwas gründlicher an. "Tellkamp, der als einzige Parteien des Protests die Linke und die AfD gelten lässt, zieht mit seinen Äußerungen wieder eine innerdeutsche Gemütsgrenze hoch", schreibt Simon Strauss – und wundert sich,
"dass knapp dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer die patriotische Rede eines konservativen Autors damit auskommt, von Deutschland zu reden, ohne sich positiv auf das ganze Land und die geglückte Wiedervereinigung zu beziehen. Dass er im Gegenteil sogar einen gewissen Stolz aus der Segregation, dem Verachtet-Sein zieht, sein Patriotismus sich ganz selbstverständlich rein regional und nicht national versteht."
Tja, Patriotismus ist eben etwas anderes.

Ökumenisch aufgeschlossen und weltoffen katholisch

"Nachdenklich, auf Augenhöhe der Zeit, ökumenisch aufgeschlossen und weltoffen katholisch": So nimmt die NEUE ZÜRCHER Abschied von Kardinal Karl Lehmann, dem einstigen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, der jetzt im Alter von 81 Jahren gestorben ist. Ein Mann übrigens, der öffentlichen Debatten mit AfD-Leuten eine klare Absage erteilt hat.
"Die Ära Lehmann war von einer engen Kooperation zwischen Kirche und Staat geprägt", schreibt Jan-Heiner Tück. "Der Mainzer Bischof hat früh erkannt, dass er als Akteur der Kirche keine Sonderrolle beanspruchen kann, und hat als Theologe die funktionale Differenzierung moderner Gesellschaften in Politik, Wirtschaft und Recht ernst genommen."
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