Aus den Feuilletons

Ordentlich Dreck unter dem Teppich

Die Rapper Kollegah (li.) und Farid Bang (re.) bei der Echo-Verleihung 2018
Die Rapper Kollegah (li.) und Farid Bang (re.) bei der Echo-Verleihung 2018 © Jörg Carstensen/dpa
Von Klaus Pokatzky · 21.04.2018
Das Thema der Woche in den Feuilletons ist die "Echo"-Preisverleihung an die Rapper Kollegah und Farid Bang. Der "Tagesspiegel" stellt fest, dass dies der Sound der Jugend sei und die "taz" fragt, ob nicht schon längst eine Abstumpfung im Hinblick auf die Verharmlosung des Holocaust stattgefunden habe.
"Geht das Abendland unter?" Das fragt die WELT am SONNTAG jede Woche von neuem. Folge 51: Der Dreiklang. "Seit dem Mittelalter haben sich nach und nach Regeln darüber herausgebildet, was ein schöner, angenehmer Klang sei", wird uns nun in Erinnerung gerufen – in Zeiten recht schriller Klänge. "Heute ist der Vorrang des Wohlklanges leider", stellt Lucas Wiegelmann fest, "nicht mehr verbindlich." Wie wahr!

Sound der Jugend auf den Schulhöfen

"Ein Preis, den man für solche Musik mit solchen Texten vergibt, ist als Preis nichts mehr wert", lasen wir in der Wochenzeitung DIE ZEIT zu dem Feuilleton-Thema der Woche: der Verleihung des "Echo" der deutschen Musikindustrie an ein Rapper-Duo. "Eins muss doch klar sein: dass man so einen Preis nicht an Leute vergibt, die frauenfeindliche, schwulenfeindliche, antisemitische Sachen rappen", sagte der Sänger und Schriftsteller Sven Regener im Interview. Ist das klar?
"Tatsächlich ist das der Sound der Jugend und auf den Schulhöfen", hieß es im Berliner TAGESSPIEGEL. "Hinzu kommt", meinte Gerrit Bartels, "dass jede Generation versucht, sich von der vorherigen abzugrenzen. Das wird allerdings immer schwerer, nachdem schon alle Pop-Kämpfe ausgefochten und aktuelle Elterngenerationen selbst in hohem Maße Pop-sozialisiert sind. Wie soll man sich den Umarmungen von wohlwollenden Älteren entziehen, die beim Tod von Kurt Cobain geweint haben und heute noch Nirvana hören."

Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen

Mittlerweile kann man leicht den Überblick verlieren, wer schon alles seinen "Echo" aus Protest zurückgegeben hat. "Ich habe mich lange nicht mehr über etwas so aufgeregt", sagt einer von ihnen, der Dirigent Christian Thielemann, im Interview mit der WELT am SONNTAG. "Dieser Fall hat mit Kunstfreiheit nichts zu tun. Auch in einem Land, in dem es Kunstfreiheit gibt, müssen bestimmte Regeln gelten, Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Es gibt Dinge, da hört es einfach auf."
Und wer verhöhnt Auschwitzopfer? "Kollegah heißt mit bürgerlichem Namen Felix Blume, ist 33 Jahre alt, Sohn eines Kanadiers und einer Deutschen", erfuhren wir aus dem SPIEGEL. "Mit 15 konvertierte er zum Islam, inspiriert von seinem Stiefvater, der ihm den Spitznamen 'Kollegah' gab. Er machte das Abitur und begann ein Jurastudium in Mainz", schrieb Jurek Skrobala – der sich wundert, warum erst jetzt über Kollegah und seinen Partner Farid Bang so heftig gestritten wird.

Viele Menschen reden den Antisemitismus der Muslime klein

"Die späte Debatte wirft die Frage auf, ob aufseiten bestimmter Hörer in Deutschland, der Kritiker, der Fachjury beim 'Echo', eine Abstumpfung stattgefunden hat im Hinblick auf lange Undenkbares: die Verharmlosung des Holocaust." Und damit geht es auch noch an andere Tabus. Für die Tageszeitung TAZ gibt es, wenn überhaupt, nur ein "Erfreuliches" an der Preisverleihung an Kollegah und Farid Bang: "die Tatsache, dass sie mal ordentlich den Dreck unter dem Teppich hervorkehrt", schrieb Jens Uthoff.
"Denn in der anhaltenden Debatte darüber kann man eine Menge lernen: über (muslimischen) Antisemitismus im deutschen Rap generell." Das Wort "muslimisch" war da in Klammern gesetzt. "Es ist auch schwer, weil niemand eine Lösung dafür hat, wie diese Menschen, die jetzt in Deutschland leben, viele seit Jahren und Jahrzehnten, lernen sollen, dass das, was sie in ihren Ländern über Juden lernten, falsch ist", steht in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG.
"Und es ist auch deshalb schwer, weil viele Menschen, die mit gutem Gewissen in der Mitte stehen, den Antisemitismus der Muslime wegreden und kleinreden", beklagt Anna Prizkau.

Leitfaden für aufgeklärte Patrioten

"Deutschland interessiert sich kaum für diesen Antisemitismus, der jetzt herrscht, es interessiert sich mehr für diesen Horror, der vergangen ist. Es beschützt nicht die Juden, sondern den Holocaust und so seine Identität." Was ist unsere Identität? "Das Grundgesetz schützt unsere Identität, aber nährt sie nicht", lesen wir in einem Interview der WELT am SONNTAG.
"Eine seriöse nationale Selbstverständigungsdebatte fehlt uns bis heute", meint die Schriftstellerin Thea Dorn, die einen "Leitfaden für aufgeklärte Patrioten" geschrieben hat. "Zum Patriotismus gehört vor allem Engagement. Das Gegenteil von Patriotismus ist für mich die gereizte Gleichgültigkeit, die sich ausdrückt in der Phrase: 'Lass mich doch mit diesem ganzen Deutschland-Gerede in Ruhe!' Dieses Gefühl etabliert sich seit Generationen immer fester."

Heimatpunk gegen gesellschaftlichen Rechtsruck

Also reden wir über Deutschland, reden wir über Heimat. "Sobald Heimat zum Begriff wird, grenzt sie aus. Der Ostseestrand gehört allen. Alle sind herzlich willkommen", sagte zur Tageszeitung DIE WELT Monchi, mit bürgerlichem Namen Jan Gorkow: "ein Heimatpunk", wie die WELT ihn nennt. "Der gesellschaftliche Rechtsruck ist schon krass", so der Sänger der Band "Feine Sahne Fischfilet" aus Vorpommern. "Ich hoffe, dass uns dagegen nie die Kraft ausgeht. Ich rede nicht von Antifa. Ich rede von allen, die nicht denken, dass Menschen mit einer anderen Herkunft oder Hautfarbe plattgemacht gehören." Musik kann eben auch richtig schön sein.
"Musik kann nicht wiederholt werden", sagte Athil Hamdan dem TAGESSPIEGEL. "Der Ton ist kurzlebig, flüchtig, vergänglich", meinte der Cellist mit einer anderen Hauptfarbe, der vor drei Jahren vor dem Krieg aus Syrien geflohen ist, und nun in Berlin als Musiker und Musiklehrer lebt.
"Musik ist die Kunst der Illusion, einer Illusion aus Klang und Einmaligkeit. Ständig erneuert sie sich und hat doch Ewigkeitscharakter."
Kommt ganz auf die Musik an…
Mehr zum Thema