Aus den Feuilletons

Ob Männer 2018 noch tragbar sind

Eine Kollegin und ein Kollege lachend beim Armdrücken im Büro
Immer schön lachen im Geschlechterkampf © imago/Westend61
Von Arno Orzessek · 06.01.2018
Die "Welt" fantasiert von Flüchtlingen, die sich im Clandenken aufgehoben fühlen und das Gastland als Wirtstier begreifen. Die "Zeit" greift lieber einen Klassiker auf und schaut, wie es um das Verhältnis der Geschlechter bestellt ist.
Nun also: Der erste Wochenrückblick des Jahres 2018.
Machen Sie sich bitte auf schnelle Themenwechsel gefasst, liebe Hörer! Denn das Angebot in den Feuilletons war derart bunt und überhaupt nicht jahresanfangsmüde, dass auch wir es hier bunt treiben wollen… Und zunächst mit der Wochenzeitung DIE ZEIT fragen: "Sind Männer 2018 noch tragbar?"
Sehr wohl, meinte Susanne Mayer. Ihre Begründung: "Der Mann ist ein Kulturgut. […] Ohne Boys lebten wir in einem alternativlosen Zickenkrieg. Das war schon in der Mädchenecke des Kindergartens der Wahnsinn. Alles Rosarosarosa und Gezeter."
Der ZEIT-Autor Lars Weisbrod dagegen plädierte auf die Untragbarkeit von Männern. "Die einen sind ganz traumatisiert, weil sie, im Erwachsenenalter wohlgemerkt, Kevin Spacey über den Weg gelaufen sind, der ihnen seinen Penis gezeigt hat. Die anderen leiden, weil in ihrer Straße […] eingebrochen wurde, vermutlich von Ausländern; sie wählen deswegen jetzt die Alternative für Deutschland."
Über die AfD und geistesverwandte Parteien zerbrach sich in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG der Soziologe Stephan Lessenich den Kopf…
Und heraus sprang eine Denkfrucht, die in der Unterzeile wie folgt paraphrasiert wurde:"Wider die Mär, im Erfolg der Rechtsnationalisten verberge sich ein Aufbegehren der Unterschichten: Nein, es sind die Aufsteiger der vergangenen Jahrzehnte, die um ihre Privilegien fürchten."

Kein Premium-Trüffel unter den Neologismen

Das Adjektiv "afd-ig" ist gewiss kein Premium-Trüffel unter den Neologismen, aber wir wollen es hier erfinden, um nun sagen zu können: Sehr afd-ig las sich in der Tageszeitung DIE WELT der Artikel "Die große Unordnung" von Thomas Schmid.
"Viele Flüchtlinge fühlen sich im Clandenken aufgehoben. Gerne nutzen sie die Möglichkeiten der technologischen und permissiven Moderne – siehe Handy, siehe auch Porno. Zwar verlieren sie, ihren Angaben zufolge, oft ihre Ausweisdokumente, fast nie aber das mobile Telefon. Sie sind über alle […] Routen ins deutsche Sozialsystem sehr schnell sehr gut informiert. […] Sie begreifen das Gastland als ein Wirtstier und kommen gar nicht auf die Idee, sie könnten ihm etwas schuldig sein. Ohne jedes Schuldgefühl nutzen sie es aus."
Auf afd-igem Pauschalisierungs-Trip: der WELT-Autor Thomas Schmid. Eine legitime Meinungsäußerung bleibt das Gesagte gleichwohl… Jedenfalls, wenn man dem Historiker Andreas Rödder folgt.
Im Gespräch mit der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG betonte der Parteifreund von Kanzlerin Merkel: "Der Raum des Sagbaren darf allein durch zwei Grenzen markiert sein. Die eine Grenze ist Artikel eins des Grundgesetzes, die Menschenwürde. Die andere ist das völkische Denken. Diesseits davon muss alles erlaubt sein."
Hier noch kurz die unterhaltsamste Interview-Passage. Die NZZ konstatierte: "Martin Schulz und Teile der SPD träumen von den 'Vereinigten Staaten von Europa'". Darauf Rödder: "Martin Schulz und Jean-Claude Juncker haben nichts gelernt. Die 'ever closer union' [die 'immer engere Union'] ist nicht die Lösung, sondern das Problem." Nachfrage NZZ: "Wer [von beiden] ist der größere Dussel?". "Das dürfen Sie entscheiden", lautete Rödders galante Antwort.

Der Künstler als Monster

Wenn es stimmt, was man liest, dann muss man sagen: Der Schauspieler Kevin Spacey hat sich gegenüber jüngeren Männern so manches Mal keineswegs galant verhalten. Unter der Überschrift "Künstler können Monster sein" – Unterzeile: "Aber die Werke und ihre Urheber sind nicht unbedingt eins" – erzählte Peter von Becker im Berliner TAGESSPIEGEL eine anspielungsreiche Episode.
"Kevin Spacey […] habe ich vor gut sechs Jahren in der weltweit gezeigten Inszenierung von Sam Mendes als Richard III. am Londoner Old Vic leibhaftig erlebt. Er spielte Shakespeares Mörderkönig als furioses, von diabolischem Witz befeuertes Monster. Ungeheuerlich. Ja: genial. Sein Regisseur […] sagte über Spacey damals: 'Ich hatte immer das Gefühl, er wurde geboren, um diese Rolle zu spielen.'"
Ob das nun für oder gegen den Missetäter Spacey spricht, ließ der TAGESSPIEGEL-Autor von Becker klugerweise offen. Über eine originelle Maßnahme im Kampf gegen die Männerherrschaft wusste die TAGESZEITUNG zu berichten. Maike Brülls suchte in Berlin einen sogenannten "Red Tent"-Zirkel auf, in dem sich Frauen treffen, um meditierend, singend und tanzend die Menstruation zu feiern.
Unter dem echt lässigen Titel "Lass es fließen" erklärte Brülls: "Was die 'Red Tent'-Zirkel und die #metoo-Bewegung eint, ist der Wille, der Unterdrückung der Frauen im Patriarchat entgegenzuwirken. […] Die Zirkel bieten Kraftorte, und eine Revolution braucht Kraft."
Apropos Revolution: "War Karl Marxist?" fragte sich wortwitzig die ZEIT
Die den armen Autor Alexander Cammann dazu verdonnert hatte, vier neue Bücher über Marx, drei davon mit sehr üppigem Body-Mass-Index, innerhalb von zwei schlanken Spalten zu rezensieren.
Einem Resümee der mehr als 2200 Seiten am nächsten kamen Cammanns Sätze:
"Der Marxsche Stachel wirkt immer noch, gerade weil dieser so vieles als Fragment hinterlassen hat. Auch eine spezielle Form der Modernität: Das Unfertige, Diffuse ergibt eine mächtige Projektionsfläche."

Sinnstiftung durch Mozart

Biegen wir nun auf die besinnliche Zielgerade ein. Bitte stellen Sie sich dabei vor, liebe Hörer, im Hintergrund würde Mozarts Klarinetten-Konzert aufgeführt. Dann müssten nämlich alle Sinnfragen schweigen – zumindest bei Menschen, die ähnlich gestrickt sind wie Piotr Anderszewski.
Der polnische Pianist bekannte in der FAZ: "Es gibt viele Fragen – meist die großen –, die mich plagen. Und genau in solchen Momenten ist mozartsche Musik die Antwort. Nicht etwa, weil sie mir etwas erwidern würde. Aber sie macht allein in ihrer Existenz Sinn. Und diese Sinnhaftigkeit ist beruhigend." -
Soweit für heute! Ihnen, liebe Radiohörer, dürfte die These, die in der WELT Überschrift wurde, mühelos einleuchten. Sie lautete: "Man sieht nur mit den Ohren gut."
Mehr zum Thema