Aus den Feuilletons

Nicht einfach mit einer Online-Petition zu lösen

Ein Pärchen blickt, an einer Mauer sitzend, aufs Meer
Ein Pärchen blickt, an einer Mauer sitzend, aufs Meer © Imago
Von Arno Orzessek · 06.12.2017
Männer und Frauen und was zwischen ihnen so alles läuft oder nicht so richtig läuft - das ist eigentlich immer ein Thema, diesmal aber sogar Thema in den Feuilletons. Es geht um französische Männer, kunstseidene Mädchen und die Noch-nicht-einmal-falsch-Parker.
"'Tilli sagt: Männer sind nichts als sinnlich und wollen nur das. Aber ich sage: Tilli, Frauen sind auch manchmal sinnlich und wollen auch manchmal nur das. Und das kommt dann auf eins raus: Denn ich will manchmal einen, dass ich am Morgen ganz zerkracht und zerküsst und tot aufwache und keine Kraft mehr habe zu Gedanken und nur auf wunderbare Art müde bin und ausgeruht in einem.'"
So schrieb es einst Irmgard Keun, laut FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG die "erfolgreichste deutsche Autorin der dreißiger Jahre", in ihrem Roman "Das kunstseidene Mädchen".

Die Zeit lässt Frauen über Alphamänner sprechen

"Die Lektüre lohnt noch heute", findet der FAZ-Autor Thomas Karlauf – und wenn wir das obige Zitat zum Maßstab nehmen dürfen, schließen wir uns Karlaufs Keun-Empfehlung an.
So oder so sind in den Feuilletons Männer und Frauen und was zwischen ihnen – ob hetero oder homo - so läuft, mal wieder ein großes Thema. "Ich liebe Alphamänner, ich bin schließlich mit einem Alphamann verheiratet", erklärt die Musikerin Carla Bruni, Ehefrau des ehemaligen französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, in der Wochenzeitung DIE ZEIT, in der in einem anderen Artikel Christine Lemke-Matwey unter der Überschrift "Genie entschuldigt nichts" über die Missbrauchsvorwürfe gegen den New Yorker Dirigenten James Levine berichtet, der selbst wiederum 1999, als die Grünen im Münchener Stadtrat vor seiner Einstellung als Chefdirigent der Münchener Philharmoniker ein Leumunds-Zeugnis verlangten, locker vom Hocker geflötet hat:
"'Ich habe bislang nicht einmal ein Ticket für Falschparken bekommen.'"

Triebhaftigkeit im Klassik-Komplex

Die ZEIT-Autorin Lemke-Matwey untersagt sich jede Vorverurteilung Levines, nicht aber eine Einschätzung des Klassik-Komplexes in puncto Triebhaftigkeit: "Gern wird an dieser Stelle der Gegenstand selbst angeführt, die Musik als eine Art Dauer-Erotikon, das alle Beteiligten unter Strom setzt – bis die nötige professionelle Hingabe mit der persönlichen verschmilzt und das Triebgeschehen seinen Lauf nimmt. Solange dies nicht auf Kosten Schutzbefohlener geschieht […] oder mit Gewalt einhergeht […], scheint es systemimmanent zu sein. So hart das klingt", befindet Christine Lemke-Matwey.
Und immer noch bleibt DIE ZEIT aufgeschlagen, denn Moritz von Uslar spricht den Schauspieler Moritz Bleibtreu auf die seit zehn Wochen laufende #MeToo-Debatte an – und Bleibtreu bleibt seiner Neigung zu klaren Ansagen treu: "Ach, Männer sind einfach so entsetzlich dumm. Das ist alles, was ich zu dieser Debatte sagen möchte."
Unter der irgendwie traurigen Überschrift "Lolita soll gehen", beleuchtet die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG den Streit, der in New York über das Gemälde "Thérèse, träumend" des polnisch-deutsch-französischen Malers Balthus ausgebrochen ist. In einer Online-Petition fordern 9000 Unterzeichner, das Metropolitan Museum möge "Thérèse, träumend" abhängen. Die SZ bildet das, gelinde gesagt, nicht undelikate Gemälde groß ab.

Ein Mädchen auf einem Stuhl

Aber weil dieser SZ-Service beim Hören im Radio gar nichts nützt, hier die Beschreibung des Bildes durch Catrin Lorch: "Es zeigt ein Mädchen auf einem Stuhl, die Beine sind gespreizt, unter dem roten Rock kann man die weiße Unterwäsche erkennen." - Nun, das ist hübsch keusch gesagt…
Aber Catrin Lorch ist sich der Reizwirkung der träumenden Thérèse restlos bewusst und verteidigt das Gemälde trotzdem gegen das Ansinnen der Online-Petition und deren Initiatorin:
"Das 'aktuelle Klima', auf das sich die Initiatorin so selbstverständlich beruft, verwechselt […] Kunst mit Propaganda und den Sockel im Museum mit einem Siegertreppchen des Erhabenen. Gute Kunst ist aber intim, gar nicht verantwortungsbewusst, meist auch sehr unangenehm, ‚wahr‘ ist nicht immer das, was alle als ‚schön‘ oder ‚gut‘ empfinden. […] Wenn man die träumende Therese und ihre Ateliergeschwister künftig aus Ausstellungen verbannte, beraubte man sich der ehrlichsten Motive, die das 20. Jahrhundert zum Thema Sexualität zu bieten hat."
Unsere Zeit ist noch nicht um, liebe Hörer…
Sie reicht noch für ein: Tschüss!
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