Aus den Feuilletons

Neue weibliche Utopien

Lila Luftballons mit dem aufgedruckten Symbol für weiblich schweben am 14.02.2014 über den Köpfen von Demonstrationsteilnehmern in München (Oberbayern). Die Demonstration richtete sich gegen Gewalt an Frauen und warb für mehr Gerechtigkeit im Umgang mit Frauen.
Kurz vor dem Internationalen Frauentag am 8. März entdecken die Feuilletons neue Frauenrollen © picture alliance / dpa / Rene Ruprecht
Von Klaus Pokatzky · 03.03.2017
Frauen, die Männer verprügeln, Katzen töten und im Stehen pinkeln – diesen Trend hat die "SZ" in Film, Literatur und Theater ausgemacht. Der "Spiegel" legt mit der Entdeckung einer neuen Bewegung nach, der Kunst der Polyamorie: Freie Liebe sei eine neue weibliche Utopie.
"Wir leben in der Zeit des geplanten Chaos."
Das lesen wir im Berliner TAGESSPIEGEL.
"Wir erleben eine einzigartige Zeit. Ich habe Probleme, mit ihr Schritt zu halten."
Sagt Laurie Anderson im Interview. "Comedy finde ich momentan aber schwierig", meint die amerikanische Multimediakünstlerin, die am Wochenende im Berliner Haus der Kulturen der Welt auftritt:
"Die Politik wird nur scherzhaft imitiert. Die Realität ist aber bereits so düster und bizarr, dass man sie gar nicht absurder machen kann."
Das klingt nun wieder bedrohlich nach Donald T., dem Präsidenten von Laurie Anderson. Den wollen wir heute hier aber mal nicht haben; es gibt auch noch Wichtigeres.

Nur 380 Straßen in Hamburg sind nach Frauen benannt

"2.505 Straßen sind heute in Hamburg nach Männern benannt, nur 380 nach Frauen."
Das teilt uns die Tageszeitung TAZ mit:
"In anderen norddeutschen Städten sieht es ähnlich aus: In Hannover stand es 2013 1.211:161 für die Männer, in Göttingen sind auch nur ein Zehntel der nach Personen benannten Straßen Frauen gewidmet."

Schluss mit dem Image der freundlichen und gewaltfreien Frau

Der Weltfrauentag am kommenden Mittwoch wirft seine Schatten über die Feuilletons, Frauenthemen überall.
"Woher kommen plötzlich all die junge Frauen, die Männer vermöbeln, Katzen töten und im Stehen pinkeln, in Film, Literatur, Theater?"
Das fragt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG angesichts von zeitgenössischen Film- und Romanheldinnen, die gegen aufdringliche Männer zurückschlagen.
"Es geht auch gegen die ‚starke Frau‘, wie sie im Mainstream-Entertainment dominiert – die sich zwar von den Männern nichts gefallen lässt, aber auf alle Zumutungen grundsätzlich rational reagiert: freundlich, gewaltfrei, wohlüberlegt",
meint Anna Fastabend.

Die neuen, radikalen Frauen

"Die radikalen neuen Frauen erzählen deshalb in aller Offenheit davon, was es heißt, keinem Ideal mehr zu entsprechen, in keine vorgefertigte Schublade mehr zu passen."
Und in welche Schublade passt unsere Kanzlerin?
"Nach zahlreichen Biografien über Angela Merkel und Monografien über ihre Politik erscheint nun noch ein Lexikon."
Das erfahren wir aus der TAZ über "Das Merkel-Lexikon" von Andreas Rinke, einem Korrespondenten der Nachrichtenagentur Reuters.
"Rinkes These: Wenn man genau hinschaut, ist Angela Merkel keine ‚Sphinx‘, sondern eine erstaunlich grundsatzfeste Politikerin",
schreibt der TAZ-Rezensent Rudolf Walther:
"Rinke weist darauf hin, dass Merkel 1993 – noch keine zwei Jahre im Amt als Jugend- und Familienministerin – entschieden für das Asylrecht eintrat."
Also ein schönes Buchgeschenk zum Weltfrauentag.

In 17 deutschen Städten gibt es Polyamorie-Stammtische

"Vor allem Frauen treibt die alte Idee der freien Liebe um, nun unter neuem Namen: Polyamorie."
Das steht in einer fünf Seiten langen Geschichte im SPIEGEL.
"Das aus dem Griechischen ‚polýs‘ und dem Lateinischen ‚amor‘ zusammengesetzte Wort klingt gut, so gut, dass viele es gern im Mund führen. In Berlin ist es hip geworden, sich polyamor zu nennen",
schreiben Tobias Becker und Claudia Voigt und verweisen auf insgesamt 17 deutsche Städte, die Polyamorie-Stammtische anbieten:
"Dass das heute möglich ist: freie Liebe als weibliche Utopie, das ist ein Ergebnis der Emanzipation und auch der Reproduktionsmedizin. Wer ökonomisch unabhängig ist und nicht mal mehr einen Partner braucht, um Kinder zu bekommen, kann freier über die eigenen Liebesbeziehungen entscheiden."
Sollten Sie nun unruhig werden, weil Sie weder von diesen Stammtischen noch von der Polyamorie jemals gehört haben: Bleiben Sie ganz ruhig! Wenn der SPIEGEL eine neue Bewegung entdeckt, ist sie meistens auch schon wieder vorbei.
Oder mit einer Überschrift aus der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG gesagt:
"Manchmal sind wir einfach fies."
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