Aus den Feuilletons

Mit Karl Marx im Gespräch

Karl Marx Badeentchen mit grauem Rauschebart stehen in der Tourist Information Trier zum Verkauf.
Karl Marx Badeentchen mit grauem Rauschebart stehen in der Tourist Information Trier zum Verkauf. © picture alliance / Harald Tittel
Von Ulrike Timm · 04.05.2018
Endlich ist er da - der 200. Geburtstag von Karl Marx. Die "FAZ" sichtet die Wirkungsgeschichte, während die "Welt" in Trier auf Spurensuche geht. Ohne Marx kein Feuilleton an diesem Tag. Nur die "NZZ" schreibt kein Wort über den Jubilar.
Gefühlt wird er schon seit Wochen, ach was, seit Monaten 200, aber erst jetzt gilt es wirklich: am 5. Mai vor 200 Jahren wurde Karl Marx geboren, und klar, alle Feuilletons legen noch mal einen drauf. Fast alle. Die Neue Zürcher Zeitung schert sich nicht um ihn, hat sich womöglich schon vorab so hart an ihm abgearbeitet, dass ihr schier die Luft ausging?
Dabei könnte man die gereckte Faust auf dem Titel doch als proletarisches Aufbegehren deuten, auch "Die verschwundene Leichtigkeit des Seins" ließe sich mit etwas feuilletonistischem Aufwand zu einer Hymne auf den großen Karl ummodeln – wo doch Herfried Münkler durchaus lesenswert philosophiert: "Das sorglose Leben in Europa ist vorbei. Die Gründe sind offenkundig: Wer viel hat, hat auch viel zu verlieren."

Von Adam und Eva zu sozialistischen Utopien

Münkler aber setzt in der NZZ bei Adam und Eva (sic!) an und sinniert über deren sorgenfreies Leben, robbt sich geschichtlich in Siebenmeilenstiefeln voran über sozialistische Utopien, Abstiegsängste und überforderte Politik, müsste eigentlich an manchen Stellen seines Textes nur noch den gezielten Schuss führen zum Geburtstagstor für Marx – aber nix da, kein dezidiertes Wort über den Jubilar! Ob das Methode ist?
"Er lebt", titelt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG andächtig, um dann erstmal mitzuteilen, dass im Haus, in dem Karl Marx aufwuchs, heute ein Ein-Euro-Ramschladen beheimatet ist. "Lockenwickler, Reißnägel, Flachpinsel, Proletarier-Bedarf zu Proletarier-Preisen!". Kostspieliger ist da schon die Marx-Knusperpastete, 2 Euro 90 und damit "70 Cent teurer als der Konstantin-Taler, die Schokoladen-Remineszenz an den römischen Kaiser und Trier-Förderer."

Marx als Konfekt

Marx – verzuckert – als Konfekt, so ist er eben, der Kapitalismus! Glücklicherweise bietet Trier noch mehr, nämlich sehenswerte Ausstellungen zum 200. Geburtstag des Philosophen. Die warten nicht mit den Bleiwüsten seiner ellenlangen Sätze auf, sondern setzen den Denker in Beziehung zur Zeit, in der er lebte. Und wer die Bilder aus dem frühen Industriezeitalter sieht, die von der Armut und den Arbeitsbedingungen des "Manchesterkapitalismus" erzählen, versteht gleich besser, warum Marx dachte, wie er dachte.
"Viele Verirrungen und Fehlinterpretationen wären vielleicht nicht passiert, wenn Marx nicht als im luftleeren und ahistorischen Raum schwebender Philosoph nach Belieben in Dienst genommen und als Kampfparolensteinbruch missbraucht worden wäre", lesen wir in der FAZ, die empfiehlt ebenfalls den Besuch der Marx-Ausstellungen in Trier.
Hier können Sie sich zwar nicht ins Devotionalien-Prunkstück setzen - also den berühmten Sessel, in dem er dachte, schlief und starb – aber immerhin können Sie sich direkt ihm gegenübersetzen, denn die Ausstellung bringt den berühmten Sessel in Aktion! "Wer sich gegenübersetzt, kommt akustisch mit Karl Marx ins Gespräch. Im Moment noch zweisprachig, bald auch dreisprachig: Deutsch, Englisch, Chinesisch".

Ein suspektes Geschenk

…Moment, ist nicht das umstrittene neue Marx-Denkmal in Trier ein Geschenk der Volksrepublik China? Die WELT zeigt es noch verhüllt, aus denkbar unvorteilhaftem Blickwinkel, und dem TAGESSPIEGEL ist diese Gabe vollends suspekt: "ein Jubiläumsgeschenk ausgerechnet von einem Obrigkeitsstaat, wie Marx ihn leidenschaftlich bekämpfte?"
Die WELT schickt einen schnoddrigen Reporter, der mit Marx den Geburtstag teilt – er wird dann 30! – auf Spurensuche durch Trier, und Frederic Schwilden macht Entdeckungen, die dem großen Karl womöglich sogar ein zustimmendes Lächeln entlockt hätten: "In ganz Trier stehen Blumenbeete, die von einer Initiative mit Kräutern bepflanzt wurden, damit die Trierer, wenn sie mal Thymian brauchen, einfach zum Pflücken auf die Straße gehen können."
Auch wenn ein weiterer WELT Autor sich emsig dranmacht, den "Kommunismus-Code" zu knacken - statt Klassenbewusstsein, Klassenkampf und Entfremdung erstmal Thymian für alle? Auch ein Anfang….
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