Aus den Feuilletons

Mit den Ohren schaut man besser

Kissen auf den Ohren trägt dieser Teilnehmer einer Anti-Bahnlärm-Demonstration in Rüdesheim (Hessen)
Manchmal will man einfach nichts hören: Ein Demonstrant gegen Bahnlärm © dpa / picture alliance / Arne Dedert
Von Ulrike Timm · 18.05.2018
Die "FAZ" beschäftigt sich ausführlich mit dem Hören - in Zeiten visueller Überforderung. In der "SZ" wird nach der Attraktivität von "Germanys Next Top Model" gefragt und die "Welt" erläutert - wie jedes Jahr zu Pfingsten - was eigentlich gefeiert wird.
Machen Sie sich auf Besinnliches gefasst! Die WELT beschreibt Verhaltensregeln in Nonnenklöstern, der – twitternde! – Papst warnt die Nonnen vor Kommunikationsformen, "die sie der Klostergemeinschaft entführen könnten. Zum kontemplativen Leben gehört die Einschränkung der Kommunikation mit der Welt."
"Das Ich ist kein anderer. Philosophen und Neurologen rätseln bis heute, was das Selbst sei." raunt die NZZ und fügt hinzu: "Und selbst weiß man es sogar am wenigsten." Stimmt. Weiter.
"Was wird Pfingsten eigentlich genau gefeiert?" fragt die WELT, will die Apostelgeschichte einer "kritischen Prüfung unterzeihen" und verheddert sich dann ein wenig zwischen Luther, "gespaltenen Feuerzungen" und ausgegossenem heiligen Geist. Ist ja auch schwierig. Vor allem das mit dem ausgegossenen Geist.

Pfingsten taugt nicht zum Top-Fest

Weshalb Pfingsten wohl selbst unter Gläubigen nie zu einem Top-Fest taugen wird, sondern eher unter "drei wunderbare freie Frühsommertage nacheinander " rangiert. Daran ändert das Bild in der WELT mit den attraktiv vom Dach des Pantheons in Rom rieselnden Rosenblättern wenig. Die Rosenblätter rieseln, klar, symbolisch, für den Heiligen Geist.
Und dann, schon leicht frustriert, stoßen wir auf diese wunderbaren Sätze in der FAZ: "Hast Du das gehört, wie ich jetzt nix geredet habe? – Zugehört hab ich schon, aber gehört hab ich nix."
Hans Knobloch und Bernt von zur Mühlen setzen an zu einer innigen Betrachtung über das Hören, über Laut und Stille, und bemühen dafür erstmal einen Sketch des Komikers Karl Valentin.

Das Hören ist immer da

Was wären wir ohne unsere Ohren, den einzigen Sinn, den man nie abstellen kann? Das Auge "kann sich zum Träumen verschließen und seinen Blick nach innen richten" - das Hören ist immer da. Der erste und vielleicht magischste aller Sinne. Lange bevor es sieht, hört das Baby die Herztöne der Mutter, "Achtsamkeit, Genauigkeit und intuitives Misstrauen sind im Hören verankert." Unseren Vorfahren teilte sich die Bedrohung durch den Säbelzahntiger übers Ohr mit – wenn man das Vieh sehen konnte, war es viel zu spät.
Kurzum, mit den Ohren schaut man besser! – auch jetzt. Was wären wir, was wäre das Radio, ohne Sie, unsere Hörer, wenn Sie uns nicht ihr Ohr schenken und sich ihr eigenes Kino im Kopf schaffen wollten?
"Nach einer Ära der visuellen Dominanz in den Medien meldet sich kraftvoll die Dimension des Hörens zurück", sind die FAZ-Autoren überzeugt, und führen zum Beleg ausgerechnet die Smartphone-Nutzung an, d e n Zeiträuber unserer Tage, und das Ding funktioniert ja doch vor allem visuell! "Würden sich unterschiedliche Stimmen übers Smartphone so ungefragt aufdrängen, wie das visuelle Botschaften tun, wäre ganz schnell ein ‚Halt die Klappe‘ die Reaktion", entgegnet die FAZ und setzt darauf, dass wir, unseren visuellen "Dispo" ständig überziehend, in Zukunft wieder mehr und bewusster ganz Ohr sein werden.

Germanys Next Top Model funktioniert nicht über den Verstand

So gestärkt wenden wir uns der SZ zu und kriegen es, platsch, ins Gesicht – Germanys Next Top Model ist hier Thema, und Heidi Klums Fleisch- und Nervenbeschau funktioniert ganz eindeutig nicht über die Ohren und nicht über den Verstand. Übers Auge aber irgendwie schon. "Warum findet sie noch Kandidatinnen – und die Show Zuschauer?" fragt die SÜDDEUTSCHE einigermaßen ratlos, wo doch Heidis Ekel- und Stressübungen auch nicht auf eine Karriere vorbereiten. Wirklich Karriere habe von den gekürten GNTM Show-Models eben keine in den vergangenen zehn Jahren gemacht. Alles Schülerinnen, Abiturientinnen und Studentinnen, "die vom Leben mehr zu erwarten hätten als ein Foto von Heidi, dass sie in die nächste Runde bringt." Was anzieht, ist vor allem die entgegengebrachte Aufmerksamkeit, meint wohl nicht nur die SÜDDEUTSCHE. Deprimierend.
Da schauen wir doch lieber noch mal kurz mit den Ohren. Und mit Lisl Karlstadt und Karl Valentin. "Jetzt halte dir mal die Ohren zu, dann schau ich, ob ich dich rieche – Gell, das ist spassig mit der Hörerei."
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