Aus den Feuilletons

"Michelle Obama for President!"

Michelle Obama bei ihrer Rede auf dem Nominirungsparteitag der Demokraten in Philadelphia
Michelle Obama bei ihrer Rede auf dem Nominirungsparteitag der Demokraten in Philadelphia. © picture alliance /dpa /Peter Foley
Von Adelheid Wedel · 30.12.2016
Die Obamas verlassen in wenigen Wochen das Weiße Haus. Die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" fragt nun, ob wir damit auch für immer von der glamourösen First Lady Abschied nehmen müssen? Nein, Michelle Obama hätte auch das Zeug zu einer Präsidenten.
"Alle mal herhören", titelt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG selbstbewusst und gibt Peter Richter das Wort. Er beobachtet, dass in den USA die "alte amerikanische Kulturtechnik der Süßholzraspelei" im Abklingen ist. Zur Erinnerung, gemeint sind mit dem "erhöhten Zuckeranteil in der Kommunikation" Erscheinungen wie "kein Profilbild ohne an die Ohrläppchen geleimte Mundwinkel".
"Nun geht ein Jahr zu Ende", schreibt der Autor, "in dem über weniges so viel gesprochen wurde wie darüber, in welchem Ton über welche Dinge gesprochen wird... Es war ein Jahr, in dem eine wahlentscheidende Anzahl von Amerikanern eine denkbar kurze Leitung zwischen Herz und Zunge toleriert, wo nicht gar goutiert hat. Der ungefilterte Ausbruch des Sentiments galt genügend Menschen als erfrischende Alternative nicht nur zu dem, was die politischen und kulturellen Eliten in den Metropolen sagen, sondern auch wie sie es sagen."
Peter Richter schlussfolgert: "Da in Deutschland heute so gut wie jede politische, kulturelle und akademische Tendenz aus Amerika übernommen und adaptiert wird, kann man sich dort schon mal darauf gefasst machen, dass Wechselgesänge wie 'Merkel, du…' – es folgt ein Buchstabe – und 'Pack' in Zukunft eher die Regel als die Ausnahme sein werden."

"Michelle Obama for President!"

Wegen des auffällig krassen Unterschieds dazu müssen wir noch einen Moment in den USA bleiben, denn Claudius Seidl schreibt in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG eine wunderbare Eloge auf die bisherige First Lady. Er fragt ein wenig hintergründig: "War es das Jahr, in dem Michelle Obama sich verabschiedet hat? Nein, es war das Jahr, in dem sie sich erst richtig vorgestellt hat. Sie war glamorous, und elegant genug, um Vergleiche mit Jackie Kennedy zu provozieren. Es wäre jedenfalls schlecht für die Politik", meint der Autor, "wenn Michelle Obama ihr nicht zur Verfügung stünde". Seidl berichtet von ihren Reden, "von denen man so mitgerissen ist, dass man sofort ihrem Unterstützerteam beitreten möchte".
Nur ein Beispiel: "Als Trump damit angab, was er sich bei fremden Frauen alles herausnehmen könne, hat sie sich hingestellt und die Mütter im Land gefragt, ob es das sei, was sie sein wollen: Objekte für die Grabschereien eines alten Mannes. Und ob sie ihre Töchter dazu erzögen, sich so etwas gefallen zu lassen – oder doch lieber zu selbstbewussten, selbständigen Frauen?"
Das Plädoyer des Autors ist eindeutig: Michelle Obama for President!

Erdbebenopfer, die alles verloren haben

In Zeiten des Feierns und Tagen der Besinnung wie des Neuanfangs sollen jene nicht vergessen werden, die unendliches Leid erfahren haben. In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG zum Beispiel erinnert Tomaso Clavarino an die Opfer des Erdbebens in Italien. Er schildert: "In einem Pflegeheim im italienischen Borbona sitzen die Alten, die alles verloren haben. Den Wiederaufbau ihrer Dörfer werden viele nicht erleben." Dutzende Menschen wurden nach zwei der heftigsten Erdbeben, die Italien je erlebt hat, aufgenommen. Den alten Menschen fehlen die alltäglichen vertrauten Rituale, die hier, in diesen Abruzzendörfern, so sehr zum Leben gehören. "Die Menschen leben in Ungewissheit… sie versuchen, so gut es geht, zurechtzukommen, machen einander Mut. Niemand will die Hoffnung aufgeben."

Alle lieben "Elphi"

Zerstörung wie Aufbau – von allem gab es 2016 reichlich. Ein vieldiskutiertes Projekt kam jetzt zur Vollendung, die Hamburger nennen es inzwischen liebevoll "Elphi". Niklas Maak wundert sich in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG ein wenig darüber:
"Es ist wirklich sehr, sehr selten, dass Bürger und Medien ein Bauwerk, das noch vor kurzem alle durch seine explodierenden Kosten (von siebzig auf weit über achthundert Millionen Euro) in den Wahnsinn trieb, so unumwunden mit einem freundlichen Kosenamen bedenken. Man muss nicht alles an diesem Bau lieben… aber insgesamt ist die Elbphilharmonie doch nicht nur ein Konzertsaal fürs klassische Bürgertum auf einem großen Podest geworden, sozusagen ein Elphibeinturm, sondern ein Ort für alle, die in der Stadt leben."
Und natürlich darüber hinaus, und damit zurück zum Anfang: Alle mal herhören!
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