Aus den Feuilletons

Marx? Muss ja.

Die Bronzestatue von Karl Marx wird in seiner Geburtsstadt Trier enthüllt.
Ein umstrittener Höhepunkt der Karl-Marx-Feierlichkeiten: die Enthüllung einer Statue in seiner Geburtsstadt Trier. © AP / Michael Probst
Von Arno Orzessek · 05.05.2018
Trotz der Aufregung um einen Bundeswehr-Shitstorm und das grammatische Geschlecht: Eigentlich gab es in der vergangenen Woche nur ein dominierendes Thema – den 200. Geburtstag von Karl Marx. Die meisten Feuilletonisten huldigten ihm, doch eine Warnung gab es auch.
"Philosophen und Aktivisten haben Marx nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, ihn zu lesen", behauptete die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Und in der Tat haben in der vergangenen Woche so viele Feuilletonisten ihre Marx-Lektüren vorgestellt, dass wir dem Verewigten hier und jetzt per monothematischem Wochenrückblick zum 200. Geburtstag gratulieren könnten.
Tun wir aber nicht, denn zunächst interessiert uns "Eine kleine Sex-Grammatik", erschienen in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
Der Sprachwissenschaftler Helmut Glück behauptete:
"Über das grammatische Geschlecht kann man nicht nach Gusto verfügen. Deshalb: Vorsicht beim Gendern!"

Der Evangelist des Genderns

Weil es um das hiesige Kulturgut Nr. 1 geht, nämlich die deutsche Sprache, wollen wir Glück ausführlich zu Wort kommen lassen – auch wenn nun Konzentration gefordert ist, liebe Hörer.
"Sexus ist eine natürliche, Genus ist eine grammatische Kategorie. Maskuline Personenbezeichnungen bezeichnen beide natürlichen Geschlechter. Bäcker schließt die Bäckerin ein, Lehrer die Lehrerin",
erklärte Glück jenen sprachlogisch kaum bestreitbaren Sachverhalt, der den Evangelisten des Genderns gleichwohl ein Dorn im Augen ist.
Über diese wiederum ereiferte sich Glück:
"Die Behauptung eines amtierenden Professors für Linguistik, das Gendern sei eine Frage der Moral und des Anstands, ist eine sozialpädagogische Anmaßung und hat keine grammatische Grundlage. Solange das Gendern im privaten Bereich betrieben wird, mag das als Kundgabe fortschrittlicher Gesinnung durchgehen; niemand muss sie teilen. Wer nicht gendert, hat jedenfalls Grammatik und Rechtschreibung auf seiner Seite. Wenn aber das Gendern zum Programm erhoben und von Politikern, Professoren oder Pfarrern als Tugendnachweis eingefordert wird, liegen ein autoritärer Eingriff in die Sprache und ein Übergriff auf ein Bürgerrecht vor, das darin besteht, dass das Deutsche in der Öffentlichkeit ohne Gängelei und erhobene Zeigefinger verwendet wird."
So der FAZ-Autor Helmut Glück.

Kritik am "Hashtag-Feminismus"

Wer sich über Glücks Angriff auf das Gendern geärgert hat, dem dürfte auch das Interview missfallen haben, dass die Wochenzeitung DIE ZEIT mit der Philosophin Svenja Flaßpöhler führte.
Denn Flaßpöhler hält nicht viel vom "Hashtag-Feminismus", wie er sich in #MeToo ausdrückt. Die Chefredakteurin des Philosophie Magazin ist vielmehr für "Die potente Frau" und hat deshalb einen Essay selbigen Namens veröffentlicht.
In der ZEIT erklärte Flaßpöhler, wie "positive Weiblichkeit" aussehen könnte.
"Mindestens so wichtig, wie das Nein der Frau zu stärken, wäre es, sie in die Potenz, eine aktive, offensive Sexualität zu bringen. Eine potente Frau begreift sich nicht als Spiegel des Mannes, sondern verfügt über ein eigensinniges Begehren. Sie erschöpft sich nicht darin, dem Mann zu gefallen, und sie schiebt ihm auch nicht die Schuld für ihre eigene Passivität zu. Eine potente Frau wertet die Sexualität des Mannes nicht ab, sondern die eigene auf. Sie hasst den Mann nicht für seinen Willen, sondern befreit den ihren aus der jahrhundertelangen Latenz."
Svenja Flaßpöhler in der ZEIT.

Die Bundeswehr und der Shitstorm

Bevor wir nun tatsächlich zu Karl Marx kommen, noch rasch ein Kurzbesuch auf der Berliner Internet-Konferenz Republica.
"Die Organisatoren der Republica hatten keine Lust auf uniformierte Soldaten auf ihrer Konferenz. Die Bundeswehr rächt sich mit einem gründlich orchestrierten Shitstorm",
berichtete die TAGESZEITUNG insofern unkorrekt, als nicht die Bundeswehr, sondern Internet-Usern für den Shitstorm verantwortlich waren.
Auf ihren Ausschluss von der Republica hat die Bundeswehr allerdings raffiniert reagiert: Sie ließ vor dem Berliner Veranstaltungsgelände Soldaten Werbe-Broschüren verteilen und parkte einen LKW, auf dem die Parole stand: "Zu Bunt gehört auch Grün."
Der TAZ-Autor Tobias Schulze verstieg sich angesichts dieser Aktion zu dem Kommentar:
"Die Armee dominiert die Zivilgesellschaft: Hatten wir schon mal. Nennt sich Militarismus. War eigentlich nicht mehr vorgesehen."
Zu einer derartigen Dummheit hätte der leidenschaftliche Streithansel Karl Marx gewiss ein paar justiziable Boshaftigkeiten formuliert.
Dass er generell ein großer Sprach-Virtuose war, unterstrich Matthias Heine in der WELT:
Marx "ist mit Sicherheit der sprachlich folgenreichste Autor nach Luther. Das gemeinsam mit Friedrich Engels verfasste 'Manifest der kommunistischen Partei' von 1848 hat unsere Muttersprache mitgeprägt wie wohl kein anderes Buch seit der Bibelübersetzung von 1521. Global gesehen ist Marx vor allem dank des Manifests sogar wirkmächtiger gewesen als der Reformator. Durch Übersetzungen und direkte Übernahmen sind Marxsche Begriffe in fast jede Sprache der Welt eingegangen."
So Matthias Heine in der WELT unter der Überschrift "Wir Marxisten".
"Im Kopf sind wir alle Marxisten" titelte, wenig anders, die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, in der sich der Philosoph Martin Rhonheimer allerdings betont anti-marxistisch äußerte.

Betrüger gibt es überall

"Selbst Verfechter des freien Marktes erkennen oft nicht, welch grundlegendes Faktum Marx aus unserem Alltagsbewusstsein zu verdrängen vermocht hat: die 'Arbeit des Kapitals', die Leistung des kapitalistischen Unternehmers. Da gibt es – wie überall – Versager, Betrüger und Schlitzohren. Beispiele dafür wird man immer finden, und der skandalhungrige Wohlstandsbürger stürzt sich genüsslich auf sie. Damit macht er es sich jedoch zu leicht. Die meisten Kapitalisten sind anständige, einfallsreiche, jedenfalls wirksame Wohltäter der Gesellschaft. Ihr Engagement, bei dem sie selbst am meisten zu verlieren haben, ist die Ursache des Wohlstands der breiten Massen."
Nicht ganz falsch, aber von verblüffender geistiger Arglosigkeit: die Argumentation des NZZ-Autors Martin Rhonheimer. –
Weil unsere Zeit um ist, muss alles Weitere zu Marx leider ungesagt bleiben…
Nur nicht die These, die in der SZ Überschrift wurde: "Er lebt."
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